Partizipation

engl. participation, franz. participation f, von lat. particeps = »an etwas teilnehmend«; wird in den Bedeutungen »Teilnahme«, »Teilhabe«, »Beteiligung« und Ähnlichem gebraucht. Der Partizipationsbegriff beschreibt einerseits eine aktive Teilnahme von Personen an sozialen Prozessen, andererseits aber auch das Ziel dieser Teilnahme zur Lösung bestimmter Probleme wie Isolation (funktionaler Aspekt) sowie die Art und Weise, in der dieses Ziel erreicht werden soll (methodischer Aspekt). Zu definieren ist jeweils, von welcher Form von Partizipation die Rede ist: (a) von aktiver Beteiligung an Entscheidungsprozessen, (b) vom Recht, Entscheidungsprozesse zu kommentieren, oder (c) von einer Beteiligung im Rahmen einer reinen Informationsveranstaltung.


Systemtheoretisch gefasst, kann Partizipation am besten über den Begriff der Inklusion und die damit verbundenen Begriffe »Person« und »soziale Adresse« gefasst werden. Niklas Luhmann (1994, S. 429) verwendet für die Bezeichnung des Menschen in der Kommunikation den Begriff »Person«. Personen sind in diesem Sinn keine Menschen mit einem Körper und einer Seele, sondern soziale Strukturen, welche wie alle Strukturen die Kommunikation regeln, indem sie  Erwartungen zuordnen. Das biologische und soziale Geschlecht, die Hautfarbe und andere körperliche Merkmale, der Bildungsstand, die schichtbezogene Herkunft, die ethnische Zugehörigkeit, die Kleidung sind einige Aspekte der Person, welche die sozialen Erwartungen in sozialen Situationen unterschiedlich steuern und die soziale Adresse von Personen prägen. Menschen sind dann als Personen in unterschiedlichen Sozialsystemen unterschiedlich adressabel, wobei eine angemessene Adressabilität in den zentralen sozialen Kontexten für die Individuen (Individuum) eine Lebensnotwendigkeit darstellt (vgl. dazu Fuchs 1997). »Partizipation« heißt in diesem Sinn zuerst einmal »Inklusion«. Das Ziel der Methode »Partizipation« ist es demnach, die Bedingungen der Möglichkeit für Inklusionen herzustellen. Bei der stärksten Partizipationsform, der Beteiligung an Entscheidungsprozessen in formalen Organisationen oder Projekten, geht es darum, die betreffenden Personen (Organisations- und Projektmitglieder) als Entscheidungsträger zu konstruieren und ihre psychischen Systeme als relevante Umwelt in Betracht zu ziehen. Wenn Menschen einfach ihre Meinungen zu bestimmten Vorhaben (z. B. einer Reorganisation in einem Unternehmen) kundtun, werden sie im Kontext von spezifischen Subsystemen (etwa einer »Anhörung« oder einem sounding board) als Teilnehmer inkludiert. Welche Auswirkungen die Kommunikation in einem solchen System jedoch auf das Gesamtsystem (hier die Organisation) hat, wird sich an den getroffenen Entscheidungen zeigen, denn das Subsystem ist für die Organisation lediglich eine relevante (systeminterne) Umwelt. Bei reinen Informationsveranstaltungen ohne aktive Beteiligung der Informierten (z. B. zu einem neuen Verkehrskonzept in einem Quartier) kann aus systemtheoretischer Perspektive kaum noch von Partizipation gesprochen werden.


Partizipation ist mit Blick auf die fehlende Möglichkeit, psychische Systeme zu beobachten, ein zentrales methodisches Erfordernis. Wie soll man z. B. sinnvolle Maßnahmen der Gesundheitsförderung in einem Betrieb etablieren, wenn man keine Vorstellung davon hat, ob mit diesen Maßnahmen die Bedürfnisse der Organisationsmitglieder wirklich abgedeckt sind und sie hinter den betreffenden Entscheidungen stehen? Mittels partizipativer Prozesse lässt sich im System Wissen über die relevanten psychischen Umwelten generieren, und latente Widerstände können durch Inklusion der betreffenden Personen gemeinsam mit ihnen kommunikativ bearbeitet werden. Wichtig ist dabei, dass der zu erwartende Partizipationsgrad transparent gemacht wird. Hierzu sind unter anderem folgende Fragen zu klären (Hafen 2007, S. 270):


• Kann und will man den betroffenen Personen/Gruppierungen wirklich Entscheidungskompetenz gewähren – auch wenn die erreichten Entscheidungen letztlich nicht den Vorstellungen des Managements oder der Projektleitung entsprechen?
• Sind die Betroffenen zahlenmäßig so stark in der Projektgruppe (Gruppe) vertreten, dass sie Entscheidungen wirklich in ihrem Sinn beeinflussen können, oder bestehen Entscheidungsfindungsstrukturen (z. B. Einstimmigkeit), welche ihren Einfluss garantieren?
• Ist garantiert, dass die inkludierten Personen wirklich die Personengruppe repräsentieren, die sie formal vertreten? Nur zu oft ist es ja so, dass »auch noch« ein Schüler oder eine Schülerin in die Projektgruppe aufgenommen wird, ohne dass die geringste Ahnung davon bestünde, ob diese Person die Schüler und Schülerinnen des Schulhauses auch wirklich vertritt.
• Wenn keine Entscheidungspartizipation vorgesehen ist, sondern lediglich Anhörung oder Kooperation – bestehen dann systeminterne Prämissen, wie mit den eingeholten Meinungen und allfälligen Widersprüchen umgegangen wird, und sind diese Prämissen den Angehörten bekannt?


Von der Theorie her formuliert, geht es um die Differenz von Semantik und Systemstruktur (vgl. Luhmann 1980, 1981), also um die Differenz zwischen dem, was (auf der Ebene der Beobachtung) proklamiert wird, und dem, was (auf operativer und damit struktureller Ebene) wirklich geschieht. Gerade auch aus ethischen Erwägungen sollte diese Differenz laufend reflektiert werden. Bisweilen ist es wichtig, sich einzugestehen, dass eine angemessene Partizipation aus Kosten- oder Zeitgründen, aus politischen Überlegungen, infolge mangelnden Interesses der Betroffenen oder aus anderen Gründen nicht möglich ist und dass es besser ist, dies zu deklarieren, anstatt »Partizipation« vorzugeben, wo eigentliche Partizipation gar nicht realisiert werden kann.


Verwendete Literatur


Fuchs, Peter (1997): Adressabilität als Grundbegriff der soziologischen Systemtheorie. Soziale Systeme 3 (1): 57–79.


Hafen, Martin (2007): Grundlagen der systemischen Prävention. Ein Theoriebuch für Lehre und Praxis. Heidelberg (Carl-Auer).


Luhmann, Niklas (1980): Gesellschaftliche Struktur und semantische Tradition. In: Niklas Luhmann: Gesellschaftsstruktur und Semantik. Bd. 1. Frankfurt a. M. (Suhrlamp), 2. Aufl. 1998, S. 9–71.


Luhmann, Niklas (1981): Gesellschaftsstruktur und Semantik: Studien zur Wissenssoziologie der modernen Gesellschaft, Bd. 2. Frankfurt a. M. (Suhrkamp).


Luhmann, Niklas (1994): Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt a. M. (Suhrkamp), 5. Aufl.


Weiterführende Literatur


Kaina, Viktoria u. Andrea Römmele (Hrsg.) (2009): Politische Soziologie. Ein Studienbuch. Wiesbaden (VS).