Polygamie in den Genen

 Die Polyamoristen haben ihre Bibel.  „Sex at Dawn“ heißt dieser New York Times Bestseller von Christopher Ryan und Cacilda Jethá. Das Buch attackiert ein dominantes Paradigma der Verhaltensbiologie. Unser heutiges sexuelles Verhalten wird aus dem Steinzeit-Modell der Familie Feuerstein („Flintstonization“) hergeleitet. Was sich bei der sexuellen Partnerwahl durchgesetzt hat, wird als genetische Disposition weitergegeben: Frauen suchen ressourcenreiche Männer, die wiederum suchen sich junge attraktive Frauen. Und beide Geschlechter kontrollieren eifersüchtig, daß es trotz gegenläufiger Impulse halbwegs monogam zugeht.


Ryan und Jethá halten dem entgegen, daß das Modell nur für agrarische Kulturen mit langfristiger Erbfolge und Besitzregelungen Sinn mache. In der früheren Jäger- und Sammler-Horde sei nicht Besitz, sondern Teilen und Gemeinsamkeit viel funktionaler für das Überleben gewesen. Langfristigkeit sei hier irrelevant gewesen, man habe als Horde besser überlebt, wenn man gleich geteilt habe, was da war.


Das sei nicht in Bezug auf die gesammelte und gejagte Beute klug gewesen, sondern auch für die sexuellen Beziehungen. „Geteilte Elternschaft“ ist das Modell, das sie aus ihren Befunden herauslesen. Das für die Männer so heikle Problem der Vaterschaftsungewißheit sei erst beim Übergang in die agrarische Seßhaftigkeit aufgetaucht. Die Jäger und Sammler seien mit einer habituellen Großzügigkeit innerhalb der Gruppe besser gefahren. Damit drehen die Autoren den konventionellen Spieß um: Vaterschaftsungewißheit führe nicht zu Rivalität und Kontrolle der Frauen, sondern zu geteilter Verantwortung. Jedes Kind könnte ja das eigene sein.


Damit argumentieren die Autoren gegen eine ganze Zunft, die Eifersucht, Rivalität und Monogamie  als genetisch begründete anthropologische Konstanten behandelt. Die Mission  für die heutigen Paare ist klar:  Angesichts von Patchworkfamilie, Adoption, Untreue und Polyamory solle man das mit Elternschaft und Untreue nicht so streng nehmen.  Vielmehr sehen sie sich besonders familienfreundlich, weil man sexuelle Zuneigung großzügiger sehen solle und sich bei Untreue nicht gleich aufregen oder gar trennen müsse.


Mir gefällt diese pfiffige Attacke auf den verhaltensbiologischen Mainstream, auch wenn Ryan/Jethá halt auch keine Beweise haben, sondern sich nur auf Plausibilisierungen beziehen können.  Das Dilemma zwischen monogamen Bindungswünschen und polygamer Offenheit haben sie auch nicht gelöst.