Der Lehrer und die 14-jährige Schülerin

 Ein 32-jähriger Lehrer hat über einige Monate Sex mit einer 14-jährigen Schülerin. Er wird vom Dienst suspendiert und später an eine andere Schule versetzt. Nachdem er in erster und zweiter Instanz zu zwei Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wird, spricht ihn  das Oberlandesgericht  frei. Es begründet den Freispruch damit, daß der Lehrer in der Klasse der Schülerin  nur dreimal unterrichtet habe. Es habe deshalb kein Mißbrauch einer Schutzbefohlenen vorgelegen.


Es ist keine Kunst, sich dieser Empörung von Schule und Elternvertretern anzuschließen. Empörung bietet eine einfache Unterscheidung an: gut und böse, Täter und Opfer. Nun gehört eine Portion Empörungsfähigkeit zur moralischen Grundausstattung jedes Menschen. Aber sie reicht nicht. Kein Zweifel: der Lehrer hat sich sozial völlig inkompetent verhalten, hat persönliche Gefühle und soziale Rollenverpflichtung nicht auseinander gehalten und hat die Verquickung von Statusunterschieden und erotischer Anziehung nicht respektiert, hat sich also - systemisch ausgedrückt - der Kontextvermengung schuldig gemacht.


Und das Mädchen? Ich gab gestern den Medizin-Studierenden meines Kurses den Fall zur Diskussion und war von der Bewertung überrascht: Während die männlichen Studenten fast durchweg eindeutig den Lehrer verurteilen, ganz unabhängig vom Verhalten der Schülerin, nehmen die Studentinnen das Verhalten des Mädchens in den Blick. Der Fall sei doch ganz anders zu beurteilen, wenn sie keinen Schaden davongetragen habe und erst recht, wenn sie das auch gewollt habe. Keine einzige Studentin betrachtete die Schülerin nur als Opfer, die meisten sehen sie mitverantwortlich, ohne freilich den Lehrer freizusprechen.


Ich bin beeindruckt, wie wenig projektiv die Bewertungen ausfallen, indem jeweils dem eigenen Geschlecht die Verantwortung zugeschrieben wird. Weder strapazieren die Studentinnen das Opfer-Argument und protegieren das Mädchen noch spielen die männlichen Studenten die niederträchtige blaming-the-victim-Karte und bagatellisieren das Verhalten des Lehrers.


So – zum Beispiel -  sieht sexuelle Selbstverantwortung aus.