„Kinder aus der Klemme“ von Justine van Lawick und Margreet Visser
Wenn der Streit zwischen Eltern anhält, entwickeln Kinder oft psychosoziale Probleme und Traumatisierungen. Für solche Konfliktsituationen haben Justine van Lawick und Margreet Visser ein therapeutisches Setting entwickelt, das erfolgreich in vielen Ländern praktiziert wird. Das neue Buch von Justine van Lawick und Margreet Visser „Kinder aus der Klemme – Interventionen für Familien in hochkonflikthaften Trennungen“ erscheint in wenigen Tagen. Wir haben die beiden Therapeutinnen in einem Email-Interview gefragt, was hochkonflikthafte Trennungen von „normalen“ und was ihre Methode von der mancher Kollegen unterscheidet.

Van Lawick, Visser: Eltern, die in den zerstörerischen Mustern einer hoch konflikthaften Trennung gefangen sind, gehen häufiger vor Gericht, es herrscht ein großes Misstrauen zwischen ihnen, sie sind davon überzeugt, dass der andere Elternteil ihr Kind verletze und das soziale Netzwerk in die Konflikte hineinziehe. Die Eltern sind so in ihrem Krieg gefangen, dass sie ihre Kinder aus den Augen verlieren. Wir haben herausgefunden, dass solche Eltern sich auch selbst ernsthaft verletzt und sogar traumatisiert fühlen. Diese Traumata gehen oft auf frühere Verletzungen zurück. Deshalb verstehen wir die meisten der destruktiven Aktionen von Eltern als „Trauma-Resonanzen“. 

Wir arbeiten immer gleichzeitig mit sechs Familien, also mit einer Elterngruppe aus zwölf Eltern und mit der Gruppe ihrer Kinder. Wir machen auch eine Informationsveranstaltung mit den Eltern und ihren sozialen Netzwerken. Eltern können nur dann weniger konfliktreiche Beziehung entwickeln, wenn das soziale Umfeld den Wandel unterstützt. 

Carl-Auer: Die Gruppenarbeit in getrennten Eltern- und Kinder-Gruppen hilft allen Beteiligten, zu einer besseren Regulierung ihrer Emotionen zu kommen und trägt zur Deeskalation bei. Was wollen Sie darüberhinaus erreichen? 

Van Lawick, Visser:  Was wir erreichen wollen, ist, dass sich die Kinder wieder sicher fühlen, dass ihr Wohlbefinden im Leben ihrer Eltern und ihres sozialen Netzwerks wieder eine zentrale Rolle spielt, damit sie sich gut weiterentwickeln können. Um dies zu ermöglichen, müssen sich die Eltern wieder sicher fühlen und sich beruhigen. Weil sie sich anfangs bedroht fühlen, reagieren sie mit extremen Überlebensstrategien: Kampf, Flucht oder Erstarrung. Und diese Überlebensstrategien verstärken die Eskalation. In der Gruppe spiegeln sie sich in anderen Eltern wieder, wodurch Reflexion und Mentalisierungsprozesse stimuliert werden. Mit speziellen Erfahrungsübungen lernen sie, sich in ihre Kindern einzufühlen, sich so wie sie zu fühlen, wenn sie ihre kämpfenden Eltern erleben.

Carl-Auer: Welchen Einfluss haben soziale Netzwerke bei einer Trennung? 

Van Lawick, Visser: Das Netzwerk hat einen starken Einfluss auf die laufenden Konflikte. Eines unserer Forschungsergebnisse ist, dass das soziale Netzwerk die Vergebung zwischen den Eltern unterstützen oder vereiteln kann. Je stärker das soziale Netzwerk (vor allem die Großeltern!) den Ex-Partner ablehnen, desto weniger Vergebung und Wiederaufbau von Vertrauen ist möglich.

Carl-Auer: Die Kinder erleben die Gruppe als einen geschützten Raum. Was geschieht in dieser Gruppe und welche Aufgaben und Ziele haben die Betreuer?

Van Lawick, Visser:  Die Therapeuten helfen den Kindern, sich zu öffnen und über ihre Erfahrungen und Gefühle in einem Leben zwischen Eltern und Konflikten zu sprechen. Viele Kinder haben gelernt, den Mund zu halten, weil sie erleben, wie ihre Äußerungen zur Munition in den Kämpfen ihrer Eltern werden können. Sie werden jedoch nie von uns zum Sprechen gezwungen. Die Kinder fühlen sich unterstützt, weil sie in der Gruppe erkennen, dass sie nicht allein sind. Der Resilienz der Kinder wird viel Aufmerksamkeit gewidmet, damit sie in dieser stressvollen Situation überleben lernen.

Carl-Auer: Was schützt die Therapeuten davor, sich nicht selbst in polarisierende Streitigkeiten hineinziehen zu lassen? 

Van Lawick, Visser: Wir arbeiten immer im Team. Die Eltern haben ihr soziales Netz, deshalb brauchen wir unser professionelles Netz, um uns zu unterstützen.  Wenn Eltern uns attackieren, attackieren sie das ganze Team. Wir nehmen uns Zeit füreinander. Wir nehmen uns Zeit, zusammen zu sein, um unsere eigenen Gefühle, Frustrationen, Verwundbarkeit und Ängste zu teilen. Und auch gemeinsam zu lachen und positive Veränderungen zu feiern.

Carl-Auer-Literaturtipps:
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Eia Asen, Michael Scholz (Hrsg.): „Handbuch der Multifamilientherapie“ Jetzt vorbestellen!