Eskalation männlicher Gewalt: Abscheu allein genügt nicht
Ein besonders brutales Verbrechen schockiert derzeit die Öffentlichkeit: Eine 28 Jahre alte Frau wurde in Niedersachsen von ihrem ehemaligen Partner an einem Strick um den Hals hinter dessen Auto durch mehrere Straßen geschleift und lebensgefährlich verletzt. Der Spiegel berichtete.

„In Kriminalitätsstatistiken bilden männliche Jugendliche und junge Männer bei Körperverletzung,  bei Mord, bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung die größte Tätergruppe. In ihrer Biografie finden sich häufig Erfahrungen der Vernachlässigung und/ oder des sexuellen Missbrauchs. … Und viele von ihnen sind nicht zuletzt aufgrund ihrer Bildungsferne eng mit dem kanonischen Narrativ der Männlichkeit verbunden, “  so beschreibt  Konrad Peter Grossmann in „Psychotherapie mit Männern“ die scheinbar endlose Gewaltspirale.

Inzwischen wenden sich zunehmend mehr Therapeuten wie Grossmann dem Problem männlicher Gewalt in Familien und Beziehungen zu. Dabei stehen sie durchaus zu ihren eigenen Gefühlen des Abscheus und Entsetzens über die Taten ihrer Klienten, wohl wissend, dass diese nicht die Ultima Ratio sein können.

Elisabeth Nicolai äußert sich im Gespräch mit Ansgar Röhrbein so: 
„Natürlich erlebe ich Betroffenheit, und ich denke, genau einer der Fallstricke ist diese Betroffenheit, die sich in einer Wut gegenüber den Tätern ausdrückt. Zunächst empfinden wir Menschen - auch die Profis – Empörung gegenüber den Tätern und der Tat und gleichzeitig Unverständnis." 

Dann aber führt  sie weiter aus: „Der Begriff des Verstehens ist dabei zentral, und er stellt eine große Herausforderung für die Profis dar, die mit Gewalt in Familien zu tun haben. Die Aussage, dass man Gewalt in der Familie nicht verstehen kann, bezieht sich auf ein Verstehen, das oftmals mit Akzeptieren und Zustimmung verwechselt wird. In Supervisionen braucht man manchmal mehrere Runden, um sich darüber zu verständigen, was verstehen überhaupt heißt – eine neutrale Außenperspektive einzunehmen und zu sagen: Ich kann ein Verständnis dafür entwickeln, wie es dazu kommt, dass jemand so gehandelt hat oder noch handelt. Im besten Fall kann ich mir ein Bild davon machen, welche Handlungen aller Beteiligten im Verlauf der Kommunikation schließlich dazu geführt haben mögen, dass der Vater Gewalt anwendet. Aber das ist etwas anderes als Zustimmung.“ 

Die Zitate stammen aus  „Wie freuen uns, das Sie da sind – Beratung und Therapie mit Vätern“ von Andreas Eickhorst, Ansgar Röhrbein (Hrsg.), das wir – wie das Buch von Konrad Peter Grossmann - sehr zur Lektüre empfehlen. 

Carl-Auer-Literaturtipp:
Andreas Eickhorst, Ansgar Röhrbein (Hrsg.): „Wie freuen uns, das Sie da sind – Beratung und Therapie mit Vätern“ 
Konrad Peter Grossmann: „Psychotherapie mit Männern“