Eine Frage der Haltung - Interview mit Mechtild Erpenbeck

In ihrem neuen Buch „Wirksam werden im Kontakt – Die systemische Haltung im Coaching“ geht Mechtild Erpenbeck der scheinbar einfachen Frage auf den Grund, was unter einer systemischen Haltung von Coachs oder Therapeuten zu verstehen ist. Unstrittig meint Haltung etwas anderes als Technik oder Tool. Wir haben uns mit Mechtild Erpenbeck, Senior Coach und Supervisorin,  über ihr neues Buch unterhalten, das im Frühjahrsprogramm 2017 bei Carl-Auer erscheint. 

Carl-Auer:
  
Sie sagten einmal, bei der Beratung von Personen oder Organisationen liegt die Lösung immer im System selbst verborgen. Beratungsarbeit bestehe darin, die Lösung sichtbar zu machen. Was kann oder soll in diesem Setting aus Personen, System, Problem und Lösung ein Diskurs über die „systemische Haltung“ zusätzlich noch bringen?

Mechtild Erpenbeck: Die Kunst und das Geheimnis systemischer Beratungsarbeit besteht in der Tat darin, Personen und Organisationen mit ihren verborgenen Ressourcen in Kontakt zu bringen. Ressourcen, die es ihnen ermöglichen, aus sich selbst heraus Lösungsideen zu schöpfen. Dieser Vorgang ist nun leider höchst delikat und störbar – sein Gelingen steht und fällt mit dem Kontakt, den ich mit meinem Gegenüber aufbauen kann. Denn im Moment der Begegnung erlebt sich unser Gegenüber i. d. R. selbst als eingeschränkt und erwartet Hilfe von außen. Das ist im Coaching in besonderer Weise von Belang, da es sich hier um die Arbeit mit einer Person handelt. Wenn ich in diesem Feld, dem Feld der Beziehungsgestaltung, scheitere, helfen mir auch die schönsten systemischen Tools und Interventionen nichts. „Der Erfolg einer Intervention hängt von dem inneren Ort ab, aus dem heraus der Intervenierende handelt“, um mit Otto Scharmer zu sprechen. Ich habe im Laufe der Jahre meiner Beratungstätigkeit erschreckend oft gerade bei systemisch gut ausgebildeten Kolleginnen und Kollegen bemerkt, dass ihnen genau diese Ausrüstung fehlt, und sie mit ihrer Arbeit nicht wirksam werden können, weil sie nicht wirklich in Kontakt mit ihren Kunden sind. Was ihnen dazu fehlt, ist etwas in ihrer eigenen inneren Welt. Eben eine innere Haltung.

Carl-Auer: 
 Dem Begriff „Haltung“ haftet etwas Auratisches an. Walter Benjamin kennzeichnete die Aura als Unnahbarkeit, Echtheit und Einmaligkeit, die griechische Bedeutung lautet Hauch. Könnte man sagen, dass die systemische Haltung exakt beide Qualitäten aufweist, nämlich schwer zu fassen und gleichzeitig authentisch, echt zu sein?

Mechtild Erpenbeck: 
Das gefällt mir. Ich würde dem zustimmen. Was tatsächlich eigenartig ist: Das, was wir innere Haltung nennen, ist eigentlich das Erste, was wir instinktiv von einem Gegenüber aufnehmen. Wir haben dafür scheint´s sowas wie den „sechsten Sinn“. Ob mir jemand auf Augenhöhe begegnet oder nicht, spüre ich fast beim ersten Händedruck. Das heißt, die innere Haltung ist gleichzeitig das flüchtigste und am wenigsten zu fassende Element in der Beziehungsgestaltung - und das wirkmächtigste. 

Carl-Auer:  Wie nähern Sie sich in Ihrem Buch diesem „Phantom“ an, das nur in der Person des Therapeuten oder Beraters überhaupt erfahrbar wird.

Mechtild Erpenbeck: 
Ich versuche es in erster Linie aus dem abzuleiten, was in der Interaktion passiert. Letztlich dreht es sich ja um etwas, das zwar seinen Ursprung im inneren System der beratenden Person hat, zu beobachten ist es jedoch eher in der Interaktion mit einem Gegenüber. Deswegen heißt das Buch auch „Wirksam werden im Kontakt“. Ich stelle in dem Buch einfach meine eigene Suche zur Verfügung. Ich nehme die Lesenden mit auf eine Reise, die meine Reise ist, die schon lange währt und immer noch andauert. Ich versuche, dem Phantom mit ganz unterschiedlichen Brillen beizukommen, auch solchen, die aus der klassischen systemischen Sichtweise ausbrechen. Das heißt, es gibt auch Ausflüge in „fremde“ Gebiete: in die Psychoanalyse, die Transaktionsanalyse, den Gestaltansatz zum Beispiel, und – das hängt mit meiner Berufsbiographie zusammen – in die Schauspielkunst.

Carl-Auer: 
   Was kann die Reflexion auf die eigene systemische Haltung im Therapeuten bewirken und verändern. Sie sprechen in ihrem Buch von dieser Reflexion als einer „eklektischen Landpartie“, wobei eklektisch üblicherweise im Sinne von unschöpferisch, imitierend und nachahmend verstanden wird. Das klingt nicht gerade nach einem heiter und entspannten Ausflug ins eigene Ich.

Mechtild Erpenbeck: 
Meine persönliche Erfahrung ist, dass die systemische Haltung, wenn sie denn wirklich innen angekommen ist, also meine Gefühle, meine Werte, meine Gedanken prägt (und genau das ist damit gemeint), in jedem Lebensbereich den Zugang zu Menschen, Situationen und Strukturen erheblich heiterer und entspannter werden lässt. Schon allein das Mehrbrillenprinzip und die Verflüssigung des Schuldbegriffes sorgen für Entkrampfung.

Eklektisch bedeutet im Ursinn der Antike, dass mehrere Lehrmeinungen nebeneinander stehen können, indem sie sich aus einer bestimmten Perspektive gegenseitig ergänzen, ohne sich Konkurrenz zu machen. Also im besten systemischen Sinne ein „Sowohl-als-auch“. Und es ist, wie ich finde, eine sehr vergnügliche Landpartie dabei herausgekommen. Nicht nur ins eigene Ich, sondern auch in die Wirkgeheimnisse von Beratungskommunikation. Weil ich, wie zu Ihrer letzten Frage ausgeführt, auf dieser Reise nicht immer die bekannten systemischen Hauptverkehrsadern benutze, sondern aus der Vielfalt der Wege, die nach Rom führen, auch ein paar verschwiegene Trampelpfade und alte Handelswege vorschlage, habe ich die Landpartie „eklektisch“ genannt.

Carl-Auer: Könnte man zusammenfassend sagen, dass die Landpartie ins eigene Selbst, sofern ihr unterwegs die systemische Haltung begegnet, einen Katharsis-Effekt haben kann und genau deshalb  ein unverzichtbares Korrektiv für jeden Therapeuten und Berater im Sinne einer Überprüfung seiner eigenen Rolle in der Beratung darstellt?

Mechtild Erpenbeck: 
Naja, als Systemikerin hab ich´s natürlich nicht so sehr mit solch mythischen psychodynamischen Vorstellungen wie die der „Katharsis“. Wenn wir jedoch „Katharsis“, was ja eine innere „Reinigung“ meint, als eine elementare „Klärung“ innerer Vorgänge beschreiben würden, dann käm es der Sache durchaus nah. Es geht um die innere Arbeit, die ich leisten muss, um im Kontakt wirksam sein zu können. Es geht darum, immer wieder bei sich selbst anzufangen. Und so verstanden geht es in der Tat um ein unverzichtbares Korrektiv für alle Personen, die in der therapeutischen und beraterischen Arbeit tätig sind.

Liebe Frau Erpenbeck, vielen Dank für dieses interessante Gespräch!