"zynisch"

Mir wird hier ja immer mal wieder von Kommentatoren vorgeworfen, ich bzw. meine Äußerungen seien zynisch.


Das gibt mir natürlich zu denken. Denn ich habe dabei stets den Eindruck, dass ich damit abgewertet werden soll. Komisch ist ja, dass ich dabei selten das Gefühl habe, jemand wolle sich kritisch mit den von mir geäußerten Ansichten auseinandersetzen. Da persönlich angegriffen zu werden kein angenehmes Gefühl ist (das weiß ich, auch wenn bzw. weil ich andere persönlich angreife), denke ich dann (manchmal) darüber nach, ob ich mir das denn tatsächlich verdient habe.


Ich habe also - wieder einmal beunruhigt - ein wenig recherchiert.


In Wikipedia findet sich folgender Text:


"Der Zynismus (griechisch κυνισμός, kynismós, wörtlich „Hündigkeit“ im Sinne von „Bissigkeit“, von κύων, kyon, „Hund“) bezeichnete ursprünglich die Lebensanschauung und -weise der antiken Kyniker.


Heute bezeichnet man als Zynismus zum einen eine Haltung, die in (oft absichtlich) verletzender Weise die Wertvorstellungen anderer herabsetzt oder missachtet und zum anderen auch eine Haltung, die moralische Werte grundsätzlich in Frage stellt und sich darüber hinaus manchmal auch über sie lustig macht. Auch eine hieraus folgende berechnend-amoralische Einstellung und Verhaltensweise kann Ausdruck dieser Haltung sein. Zynismus kann Folge und Anzeichen von Resignation sein.


Zudem bezeichnet der Begriff Zynismus mitunter auch die zynische Äußerung selbst als Ausdruck dieser Haltung.


Zynismus wird sehr oft fälschlich als Synonym zum Sarkasmus verwendet. Während letzterer aber nur bitter-schwarzhumorige Aussagen bezeichnet, geht Zynismus hierüber hinaus und bezieht sich auf den Charakter und die Weltsicht eines Menschen. Sarkasmus ist also nicht unbedingt eine Äußerung von Zynismus, so wie nicht jede boshafte Aussage ein Ausdruck von Bösartigkeit sein muss." [Zitat Ende]


Wenn man davon ausgeht, dass der Gebrauch die Bedeutung eines Wortes bestimmt, so scheint mir an dieser Definition treffend, das als zynisch immer solche Äußerungen bezeichnet werden, die der Moral dessen widersprechen oder zu widersprechen scheinen, der einen anderen als "zynisch" etikettiert.


Es geht dabei nicht um sachliche Bewertungen (das wäre die Sachdimension der Kommunikation), sondern um die Sozialdimension der Kommunikation, d.h. die soziale Disqualifizierung dessen, der eine bestimmte Ansicht vertritt.


Kurz gesagt: Es geht um One-up-manship im Sinne von: "Ich bin der Gute und Du bist das moralisch fragwürdige Subjekt!"


Implizit wird eine Definitionsmacht beansprucht, was richtig und falsch, erlaubt und nicht-erlaubt ist usw.


Dagegen spricht eigentlich ja nichts. Denn warum sollte man nicht definieren, mit welchen Ansichten man sich auseinandersetzen will und mit welchen Leuten man zu tun haben will...


Klar sein sollte aber dabei immer: Bei der Moral geht es um sozialen Achtungserweis. Wer gegen die Moral einer gesellschaftlichen Gruppe verstößt, erntet Mißachtung, d.h. er wird mit Ausgrenzung bedroht - und auf diese Weise werden die gegebenen Werte einer subkulturellen Moral verstärkt, aufrechterhalten usw.


Man kann sich dabei aber nicht auf die Systemtheorie berufen. Wenn man sich entschließt sie anzuwenden, dann muss man sich auf eine moralfreie Theorie einlassen. Aus der Systemtheorie läßt sich keine Moral, keine politische Korrektheit etc. ablesen. Man kann sie zur Organisation von KZ's und Terroranschlägen usw., aber auch zur Erreichung caritativer und/oder humanitärer Ziele und Zwecke, zur Organisation des Tierschutzvereins, von Daimler, der Post oder eines Sängerzirkels verwenden...


Moralfreiheit der Theorie heißt allerdings nicht, das man moralfrei leben sollte oder könnte, sondern lediglich, dass man sich bei seinen Bewertungen nicht auf die Systemtheorie berufen kann... Aus der Verantwortung für seine Werte und Wirklichkeitskonstruktionen kommt man nicht durch Berufung auf eine höhere Autorität (den Liebengott oder den Liebenluhmann) heraus.


Mir ist aufgefallen, dass ich eigentlich nie jemanden des Zynismus beschuldige. Ich nennen gerne irgendwelche Leute Idioten, Verbrecher, Arschlöcher, moralisch schwachsinnige Subjekte etc. Dabei berufe ich mich allerdings nie auf die Theorie, sondern auf meine persönlichen moralischen, intellektuellen, ästhetischen usw. Kriterien. Wer andere des Zynismus beschuldigt, versucht sich (m.E.) hinter einer vermeintlich objektiv gegebenen Moral zu verstecken. Das halte ich persönlich wiederum für ein unsittliches (Beziehungs-)Angebot...