Zwangspsychiatrie

Was alltäglich geschieht und als selbstverständlich erlebt wird, hat nur wenig Chancen problematisiert oder gar zum Gegenstand der Forschung zu werden. "Selbstverständlich" heißt eben nicht, dass irgendwer etwas versteht, schon gar nicht von selbst, sondern dass es einfach nicht in Frage gestellt wird. Das gilt auch für Zwang in der Psychiatrie.


Als ich 1974 in einer psychiatrischen Klinik zu arbeiten begann, war es selbstverständlich, dass ich dort vom ersten Tag an über Gewaltmaßnahmen zu entscheiden bzw. sie zu verantworten hatte. Ich habe also einsperren, anschnallen, niederspritzen lassen, was das Zeug hielt. Nicht, weil ich so scharf darauf war, sondern weil ich mich in meine Rolle fügte (Stationsarzt einer geschlossenen Abteilung und der Wachstation) und das tat, was die Organisation (repräsentiert durch Pfleger, Schwestern und meinen Oberarzt oder auch die einliefernden Polizisten) von mir erwarteten...


Das war eine ziemlich erschütternde Erfahrung für mich (für die Patienten sicher noch viel mehr). Jedenfalls wurde mir sehr schnell klar, dass Gewalt bzw. Macht einer der wesentlichen, definierenden Faktoren der Institution Psychiatrie und der psychiatrischen Institutionen war... - und das war dann schließlich auch einer der Gründe, warum ich mich von ihr immer weiter entfernt habe.


Jetzt erst, d.h. in den letzten Jahren, wird zunehmend auch die Anwendung von Gewalt in der Psychiatrie empirisch beforscht. Das Ergebnis ist nachzulesen in einem Artikel, der auf Spiegel online publiziert ist:


http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,806966,00.html