Zusammenfegen

Liebe Leserin, liebe Leser,


von gestern und vorgestern ist noch Zeug liegen geblieben, was heute zusammengefegt werden muß, damit keine Unordnung über die Maßen entsteht. Vorab: Schön, daß Tom Levold das Grimm'sche Wörterbuch hat, ich war damals, als es (anfangs 90r Jahre) herauskam, zu geizig, es zu kaufen. Und danke für die Hinweise. Auffallend ist: Es geht im Grimm'schen Wörterbuch nur ums Umkehren. Niemand hätte ja auch gedacht, daß Heidegger, als er Die Technik und die Kehre schrieb, die Kehrwoche im allgemeinen und die technische Verbesserung des Besens im Besonderen im Sinne hatte. In Marburg hatten wir jedenfalls einmal einen Patienten, der über die Lektüre dieses Textes verrückt geworden war. Das ist aber garnicht zum Lachen.


Ich kehre also erst einmal um und fange mit den Fallvignetten an. Methodisch kontrollierte Falldarstellungen in Aufsätzen über beraterisches und therapeutisches Arbeiten sind insofern eine unverzichtbar akademische Angelegenheit, als die damit befaßten Professionen u. a. dadurch definiert sind, daß sie eine akademische Grundlage haben. Das wäre das professionstheoretische Argument, hart an der Grenze zur Rechthaberei. Also ein anderes, sachdienlicheres: Wozu schreibt man Aufsätze über beraterisches und therapeutisches Handeln? Um die Profession voranzubringen a) nach innen, b) nach außen. Ob eine Therapierichtung beispielsweise als Verfahren akzeptiert wird oder nicht, hängt u. a. davon ab, ob hinreichend kontrollierte Studien über Therapieverläufe und ihre Ergebnisse vorliegen. Jürgen Kriz und ich machen uns seit Jahren dafür stark, daß auch solche methodischen Verfahren, die aus harter Mediziner- und Psychologensicht als "weiche" diskriminiert sind, weil sie weder messen noch zählen, also u. a. fallrekonstruktive Verfahren, in die Bewertung der systemischen Therapie eingehen. Die methodisch eher beliebigen Fallvignetten unterlaufen diese Bemühungen. Deshalb habe ich mich dagegen ausgesprochen, liebe Lanzenbrecher - wenn ich auch Spaß an schönen Geschichten habe.


Dann noch was zur sozialisatorischen Triade bzw. zum Vater. Meine Meilener Kollegin Silvia Dinkel hat mich darauf hingewiesen, daß es auch an der Triade orientierte soziologische Konzepte von Sozialisation gebe, ich solle meine eigenen Arbeiten nicht unerwähnt lassen. Da hat sie recht, ich sprach aber vom Mainstream der deutschen Familiensoziologie, zu dem ich mich nicht zähle. Andererseits ist erwähnenwert, daß es zwischen dem Dyaden-Lager und dem Triaden-Lager eine schöne Kontroverse gibt, die in der Zeitschrift Erwägen, Wissen, Ethik Jg. 14 Heft 3 (2003) die wesentlichen Argumente versammelt.


Meine Arbeitsgruppe in Jena versucht sich dem Thema Triade über die Abwesenheit zu nähern (ist auch widersprüchlich formuliert, nicht die Forscher sind abwesend, sondern eine jeweilige Position in der Triade). Also: Wir untersuchen Situationen mit abwesenden Vätern, abwesenden Müttern, abwesenden Eltern, aber auch: abwesenden Kindern (Näheres siehe www.bruno-hildenbrand.de). Ich will hier aber keine Reklame machen, sondern auf ein Projekt hinweisen, das bei uns Dorett Funcke vorbereitet und auf allgemeineres Interesse stoßen könnte: Es gibt bei den Triadenforschern einen Streit darüber, ob die Geschlechterpolarität beim Paar real oder symbolisiert vorhanden sein müsse. Anders gesprochen: wie "normal" ist ein gleichgeschlechtliches Paar, das ein Kind (Kinder) aufzieht? Ist Kindern eine solche Situation zuzumuten? Das Material, das Dorett Funcke in den letzten Monaten zusammengetragen hat, ist sensationell schon deshalb, weil es großer Geduld und Vertrauensarbeit bedarf, um die betreffenden Paare zu gewinnen, sich auf eine Studie einzulassen - vor allem dann, wenn von Anfang an signalisiert wird, daß die Studie ergebnisoffen angelegt ist. Dorett Funcke verfügt jetzt über familiengeschichtliche Gespräche mit an die 10 Paaren, von denen einige ein Kind oder zwei Kinder via anonyme Samenspende (was in Deutschland verboten ist) bekommen haben, andere Paare haben jeweils ein Schwulenpaar gefunden, das bei der Zeugung behilfilich war, in einem Fall besucht dieses Männerpaar regelmäßig die Familie, im anderen nicht - kurz und knapp, anstatt ideologischen Streit vom Zaun zu brechen, ob das Aufwachsen von Kindern mit einem gleichgeschlechtlichen Elternpaar diesen zuzumuten ist, verfolgen wir die Sache empirisch und richten uns auf eine Langzeitstudie (bis zur Adoleszenz der Kinder, die derzeit um die drei Jahre alt sind) ein.


Über Wim Wenders, Jim Jarmusch und Bob Dylan bin ich also bei der anonymen Samenspende angelangt. Ein Schelm, wer denkt, ich hätte das so inszeniert.


Bis morgen dann!


Bruno Hildenbrand