Zur Abwechslung ein Austausch mit Franz Schandl, Historiker und Publizist in Wien
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Liebe Frau Taraba,
> >
> > danke für ihre Mails. Ob ich mich an der Web-Diskussion beteilige, kann
> > ich hier aber nicht versprechen, vor allem deswegen, weil solche Sachen
> > für mich meist sehr mühsam und zeitwaufwendig und auch meine Erfahrungen
> > bisher nicht die besten gewesen sind. Aber ich lasse mich auch positiv
> > überraschen. Auf jeden Fall werde ich etwaige Debatten gerne verfolgen.
> > Mal sehen.
> >
> > Es freut mich auch, dass sie mein Beitrag "Das Verwesen der Arbeit"
> > angesprochen hat. Gerade auch deswegen vermag ich ihren Eindruck die
> > Streifzüge betreffend wenig nachzuvollziehen. Aggressive Agitation ist
> > im Gegensatz zu forscher Argumentation, so glaube ich, dort kaum zu
> > finden. Aber vielleicht könnten sie das ein andermal präzisieren. Auch
> > sind wir kein Projekt, dass in unmittelbarer Tradition von 1968 steht.
> > Den Versuchen um 1968 stehe ich selbst sehr kritisch gegenüber,
> > wenngleich ich sagen muss, dass mich die diversen Abrechnungen dann doch
> > mehr ärgern und ich fast wieder in Versuchung geraten die Versuche zu
> > verteidigen. Denn Impetus und Motivation teile ich sehr wohl. Ich habe
> > mir daher erlaubt, meinen Artikel "Blindlinks", den ich 1998 zu 1968
> > geschrieben habe, in ein Kuvert zu geben und an sie zu senden.
> > Mit herzlichen Grüßen
> >
> > Franz Schandl
Lieber Herr Schandl,
>
> Das mit der Mühsamkeit und Zeitaufwendigkeit verstehe ich übrigens
> vollkommen aus meiner Praxis. Ich muss mich auch beschränken und
> Prioritäten setzen und diverse Kontakte auf das Minimum reduzieren.
> Die Erfahrung bei "Diskussion" ist halt notwendigerweise
> "Widerspruch", beziehungsweise "unprofessionelle Antworten" gegenüber
> der intellektuell "vollkommen durch gedachten wahrhaften Analyse,
> These oder Lehre.”
>
> Dennoch möchte ich anmerken, dass ein "Manifest" und seine
> jahrzehntelange Untermauerung ja dazu dienen soll, eine entsprechende
> "Gegenöffentlichkeit" zu schaffen , beziehungsweise, nennen wir das
> Kind beim Namen, eine "Revolution" herbeizuführen. Seine öffentliche
> Diskussion macht sukzessive einen immer größeren Kreis von Menschen
> damit bekannt.
>
> Dabei darf nicht vergessen werden, dass nicht nur Sie, sondern viele
> Menschen aus den unterschiedlichsten intellektuellen und
> nicht-intellektuellen Bereichen auch darüber nachdenken, oder
> nachdenken wollen, was der tiefste Grund des andauernden, sich ständig
> verschärfenden "Zustandes" ist. Änderung findet unvermeidbar sowieso
> statt, es fragt sich nur ob wir tatsächlich etwas dazu beitragen
> können (qua der List der Vernunft!) oder ob das nicht sowieso ganz von
> selbst passiert, wenn sich ein Zustand ad absurdum führt. Ich denke
> Niklas Luhmann hat dafür plausible systemische Argumente.
>
> Wenn Ihr Manifest nicht in Richtung neuer Gewaltsamkeit tendieren
> soll, nicht wieder eine rein männlich motivierter Kreuzzug sein soll,
> (ganz ungeachtet dessen, dass bei Ihnen zahlreiche Autorinnen
> schreiben) dann werden Sie es sich gefallen lassen müssen, das es auch
> hier Modifikationen des Denkens darüber geben wird und muss, auf die
> sie sich einlassen können müssen, um nicht ein heiliger Gralsorden für
> die Mühsamen und Beladenen und der reinen Lehre zu ihrer Errettung zu
> sein, sondern sich einzulassen auf das, was andere Menschen denken und
> vor allem, was andere Menschen erleben und erfahren. Da ist dann
> bekanntlich noch der große Unterschied im Wollen, Denken und Erleben
> der tatsächlich Betroffenen und dem der Intellektuellen und deren oft
> nicht besonders denkfreudigen Trittbrettfahrern.
>
> Sie haben in einem Zug quasi schon für alle gesprochen...von mir aus
> nicht aggressiv, sondern forsch, aber apodiktisch und überwältigend.
> Es sei denn, Sie suchen Ihre Gesprächs- und Dialogpartner in allen
> Schichten, um untragbare Tatsachen und Zustände immer wieder
> durchzukauen, aber sich dabei auf das jeweilige Gegenüber “sensitiv”
> einzulassen. Es also nicht mit Fakten erschlagen zu wollen, sondern zu
> respektieren, was er an Erleben, Erfahrung und Fakten einzubringen hat.
>
> Das ärgerliche an der Welt ist, dass es in ihr die unglaublichsten
> Nuancen unterschiedlichen Denkens, Erlebens und Erfahrens gibt, die
> nicht gleich geschaltet werden können, höchstens angenähert werden
> können. Also spreche ich glaube ich auch in Ihrem Sinn, dass es
> /kreativen /Sinn macht auch die “andere Seite” zu hören, auch wenn es
> für Sie scheinbar Sisyphos -Arbeit ist. Was hatte der übrigens verbrochen?
>
> Da dies eine “systemische” Site ist, wäre es für Sie und für mögliche
> Teilnehmer vielleicht doch lohnend, hier zu kommentieren, mitzudenken
> oder mitzudiskutieren, falls überhaupt eine Diskussion daraus entsteht.
>
> “Gesellschaftskritisch” sind ja mittlerweile alle. Ihr Manifest bringt
> gegenwärtige Zustände auf den Punkt und fordert eine konträre Richtung
> des Denkens, eine epochemachende Umwälzung, einen Paradigmawechsel, es
> eignet sich daher dazu, eigene Standpunkte zu überprüfen. Meines
> Erachtens geschieht so gewaltfreie Veränderung im kleinsten Maßstab
> und größter Wirkung. Verändern kann man nämlich nur sich selbst.
> Einwirken kann man nur auf einen kleinen Kreis. In allem und jedem ist
> sein Widerspruch enthalten. Es gibt für alles immer Gegenargumente.
> Doch steter Tropfen höhlt den Stein – wobei unter Tropfen hier das
> sich selbst verändernde Individuum zu verstehen ist.
>
> Mit herzlichen Grüßen
> Sylvia Taraba
>
> PS Darf ich diesen “Dialog” mit Ihnen in die Seite stellen? Er könnte
> als Anregung dienen.
>
Liebe Frau Taraba,
kaum überlege ich, ob ich will, bin ich schon mitten drin in der
Debatte. Nur, wo beginnen? Wenn ich hier alles beantworte, was sie
angesprochen haben, könnte ich gleich ein Buch schreiben. Dazu fehlen
mir nicht das Können, wohl aber die Mittel.
Nicht den Einwand fürchte ich, sondern um meine Zeit, die leider viel zu
knapp bemessen ist. Die meiste Zeit hüte ich Kinder und versorge den
Haushalt (putzen, bügeln, kochen). Da ist jedenfalls kein heiliger Gral
oder verspäteter Lenin im Busch. Man versucht lediglich seinen Beitrag
zu leisten, emanzipatorische Theorie und Praxis auf die Höhe der Zeit zu
heben. Sie haben da keinen versessenen Fanatiker vor sich. Zu letzterer
Figur habe ich in der krisis 28 (Gaul hat sie) nicht weniges gesagt.
"Unprofessionelle Antworten" gibt es ebensowenig wie professionelle, nur
richtige und falsche und unzählige Schattierungen und Ambivalenzen
dazwischen. Daher vertrete ich auch keine "vollkommen durch gedachten
wahrhaften Analysen, Thesen oder Lehren". Die reine Lehre ist eine leere
und ich bin immer und immer mehr ein Vertreter von Leben und Fülle,
nicht von asketischer Rechthaberei oder gar wilder Zerstörung. Ich
denke, das kommt in meinen Texten auch zum Ausdruck. Dieses Denken will
offen, aber auch stringent sein.
Natürlich geht es um Paradigmenwechsel und Transformation, worum auch
sonst. Mit dem Gegensatz von Revolution und Reform oder auch von Gewalt
und Gewaltfreiheit vermag ich freilich wenig anzufangen. Aus den Texten,
die ich ihnen zukommen lasse, sollte das auch hervorgehen.
Luhmann schätze ich sehr als analytischen Geist, hab auch einiges von
ihm gelernt, nur er ist letztlich, was Perspektiven angeht, völlig
unbrauchbar, ja er ist ein Herrschaftszyniker, da können seine
Überlegungen noch so profund sein. Dass sich die Zustände ad absurdum
führen, glaube ich auch. Nur, was kommt dann? Wenn es hier keine
bewussten Akte der Setzung gibt, dann fürchte ich nichts anderes als
mafiotische Zustände, eine sekundäre Barbarei.
Die Fragestellung "Groß oder klein?" erscheint mir inzwischen als eine
falsche. Alles ist eine Frage unmittelbarer Möglichkeiten und
Öffentlichkeiten. Veränderung hat groß und klein zu sein, sie sind sich
gegenseitig Bedingung, aber nicht Voraussetzung im Sinne eines
Hintereinander.
Ich habe mir auf jeden Fall erlaubt, ihnen einige ältere Beiträge, aber
auch einige neuere per Kuvert zu schicken..
Schöne Grüße aus Wien
Franz Schandl
P.S.: Ob der "Dialog" auf die Seite soll? Wenn Sie meinen, warum auch
nicht. Man muss nur bedenken, dass in Briefen vieles so dahingesagt wird
und daher der Gehalt immer beschränkt ist. Jedenfalls kann ich meine
Mails nicht bearbeiten wie einen Essay. Aber man muss ja auch nicht
immer alle Sicherheiten einsetzen.
Lieber Herr Schandl,
Ich verstehe Ihre Erwiderungen zum größten Teil. Ich empfinde auch große Sympathie dafür. Ihren Zeitmangel verstehe ich erst recht.
Nicht verstehen kann ich ihre richtig/falsch Unterscheidung. Denn was für den einen richtig ist, ist für den anderen falsch. Die Antithese zur These ist nicht richtiger oder falscher als die These, sie zeigt nur einen notwendigen Übergang auf, vom einen in das andere, bei dem dann doch etwas ganz anderes herauskommen kann, als die Antithese bezweckte.
Aber darüber würde ich gern weiter mit Ihnen im Gespräch bleiben. Nur eine Bemerkung noch: wenn Luhmann ein Herrschaftszyniker ist, als welchen Typ von Zynismus würden Sie das Manifest bezeichnen? Als Objektivitätszynismus? Wenn Zynismus das beide verbindende ist bin ich beunruhigt. Ihr Essay in Weg und Ziel ist da für mich von einer ganz anderen Art.
Sie schreiben: "Nur, was kommt dann? Wenn es hier keine
bewussten Akte der Setzung gibt, dann fürchte ich nichts anderes als
mafiotische Zustände, eine sekundäre Barbarei. "
Das fürchte ich auch, besonders, wenn ich Ihr Manifest lese. Wenn man zur Frage der Umsetzung kommt, wird es schwierig. Wenn man zur Kontrolle über die Verhältnisse kommen will gerät man außer sich. Man wird zum Glück durch die Umstände immer auf sich selbst zurückgeworfen. Dort bleibt man am besten, denn dort ist man in jeder Situation sicher, egal, was geschieht.
Danke dass ich diesen Austausch veröffentlichen darf.
Sie schreiben: "Man muss nur bedenken, dass in Briefen vieles so dahingesagt wird und daher der Gehalt immer beschränkt ist. Jedenfalls kann ich meine Mails nicht bearbeiten wie einen Essay. Aber man muss ja auch nicht immer alle Sicherheiten einsetzen." Da stimme ich mit Ihnen überein, mir geht es leider genauso. Ich schreibe ungeordnet frisch von der Leber weg und bin dann oft nicht zufrieden. Aber das ist o.k. für mich.
Alles Gute und bis nächstens schöne Grüße vom Hatlerbrunnen
Sylvia Taraba