Zum Beispiel in der Literatur

Zum Beispiel in der Literatur.

Eines meiner Hobbys ist es, systemische Sichtweisen außerhalb der therapeutisch-philosophischen Gemeinde auf zu spüren, zum Beispiel in der Literatur.

Ich hatte den gestrigen blog kaum verfasst, war kurz zum einkaufen gefahren und saß beim Mittagessen, als mir einfiel, dass ich doch eigentlich in die vierte CD des Hörbuchs „Buch der Unruhe“ von Fernando Pessoa noch mal reinhören könnte (Entspricht F.Pessoa (2003): Buch der Unruhe Ammann; S.292 ff). Da war doch ein Bezug auf ihn gewesen in einem der blogs von Elisabeth Reitinger! Kaum hatte ich sie gestartet, als auch schon der systemische Besen, den das Auer-Team einem offenbar zur Verfügung stellt, selbsttätig zu kehren anfing. Und siehe das: Was der Buchhalter, dessen Unruhe für mich manchmal schwer erträglich ist, nach der anfänglichen Bemerkung „Es ist absurd.....“ da feststellt ist systemische Lebenssicht pur! Das Kleid der hübschen Dame gegenüber wird zu einer Landschaft all dessen, was damit verbunden ist: der Stoff aus dem es gemacht ist, die Arbeit, die es gekostet hat, ihn und dann das Kleid her zu stellen, die Menschen die das gemacht haben, ihre Schicksale usw. usw.

Eine Freundin, mit der ich heute früh darüber sprach sagte sofort: „Aha, ganz buddhistisch!“ Ja natürlich, und da wären wir bei einem weiten Feld, von dem ich mich im Moment fernhalten möchte: Systemisches im spirituellen Bereich. –

Etwas später dann die Feststellung des Buchhalters, dass er, wenn er auf einer Reise an Häusern vorbei fährt, jeden der Einwohner mit sieht und mit erlebt: „Vater, Mutter; Kinder, Vettern, Dienstmädchen und die Vettern der Dienstmädchen .....“ (293). Er ist also jemand, der unwillkürlich in die ihn umgebenden „Systeme“ hinein gezogen wird, dies aber offenbar meist nicht als Reichtum, sondern als Bürde empfindet. Man kann sich fragen, ob die Müdigkeit, von der er immer wieder spricht, etwa eine Folge davon ist, oder ob sie einfach zu einem richtigen Portugiesen gehört? -

Außerdem hat Pessoa sich selbst ebenfalls in einer Art System verschiedener Persönlichkeiten erfahren. Er lebte also in einer ständigen „parts-party-Stimmung“.

Nun doch noch ein kleiner Abstecher ins Spirituelle: Genau das, was der Buchhalter, und damit Pessao bei sich als von selbst geschehend schildert: dieses Vorstellen alles dessen, was mit einem Ding oder einem Menschen, den man gerade wahrnimmt, verbunden ist, wird im Buddhismus als Meditation empfohlen. Auch die allabendliche Überlegung, welche der eigenen Handlungen, die den Tag ausfüllten, wirklich unabhängig und unbeeinflusst von anderen und anderem geschah, wird aus hinduistischer Sicht des Advaita empfohlen. Natürlich mit dem Ergebnis, dass man nichts, aber auch rein gar nichts unabhängig von anderen tut. „Things happen, deeds are done, but no individual doer thereof“ soll Buddha einmal gesagt haben. Lang ists her, aber offensichtlich auch heute aktuell. – Offen bleibt dabei allerdings die Frage nach Selbstverantwortung und Schuld.