Zeitdruck und Konservatismus

In den italienischen Zeitungen wird im Moment viel über die Papstwahl geschrieben (klar: auch über andere Wahlen). Was dabei interessant schien, war die Frage, wann denn nun die Wahl beginnt. Die Entscheidung ist gefallen: nächsten Dienstag.


Was in Italien (wahrscheinlch weit mehr als in Deutschland) jedermann vollkommen bewußt zu sein scheint (zumindest den Journalisten), ist die politische Bedeutung der Terminfrage.


Wenn schnell gewählt wird, dann ist das im Interesse der Konservativen, d.h. der Machthaber, d.h. der Kurie, d.h. der verkrusteten, pädophilen Seilschaften, die Ratzinger zum Rücktritt gebracht haben.


Wenn erst später gewählt wird, dann ist das im Interesse der Progressivem, d.h. der Kritiker der Kurie, die Transparenz fordern, nicht nur in all den Missbrauchsskandalen, sondern auch in den finanziellen Verstrickungen des Vatikans, der Vatileaks-Affäre usw.


Aus systemtheoretischer Perspektive ist relativ schlüssig, warum die eine Parteil schnell eine Neuwahl des Papstes haben will/wollte, die andere sich gern Zeitl lassen würde/gelassen hätte.


Zeitdruck fördert generell - d.h. nicht nur im Vatikan, sondern in allen sozialen Systemen - die Erhaltung bestehender, insbesondere hierarchischer Strukturen. Wenn viel Zeit vor einer Entscheidung gegeben wird, dann kann auch viel diskutiert werden, auch der letzte Beteiligte kann sich dann noch informieren und eine Meinung bilden, sich Gedanken machen und seine Ambivalenzen sortieren...


Wenn hingegen keine Zeit für Kommunikation und Abwägen gegeben ist, erhöht sich die Wahrscheinichkeit, dass all das weiter gemacht wird, was bislang gemacht wurde. Und in der Regel heißt dies, dass hierarchisch entschieden wird.


Kommunikation und Hierarchie sind beides Mittel, um zu Entscheidungen zu gelangen. Allerdings schließen sich sich im Allgemeinen gegenseitig aus.


Zeitdruck ist daher generell Innovationsfeindlich - nicht nur in der Katholischen Kirche...