Wunschkonzert

Ein Theaterstück von Franz Xaver Kroetz, gestern aufgeführt im Rahmen des Berliner Theatertreffens in der Version des Kölner Theaters.


Eine Frau beendet ihre Arbeit im Büro, deckt die Schreibmaschine mit dem Staubschutz ab, fährt nach Hause, schmiert sich ein paar Brote, sieht fern, versorgt einen Pickel mit Creme, schaut dem Goldfisch in seinem Glas zu, geht auch baden, stickt ein wenig, hört das Wunschkonzert des Bayerischen Rundfunks, geht schließlich ins Bett, wacht in der Nacht auf, versorgt noch mal den Pickel, holt sich die halbe Piccolo-Flasche deutschen Sekts aus dem Kühlschrank und spült mit ihm eine tödliche Menge Antidepressiva herunter.


Das war's.


Ein - für mich - schreckliches, kaum erträgliches Stück, zumal es perfekt mit allen Details der 70er Jahre spielte, der Zeit, in der das Stück geschrieben wurde. Geraucht wurde Lord, der Pickel wurde vor dem Allibert-Schrank begutachtet, im Fernsehen lief das heitere Beruferaten mit Robert Lemke und Guido Baumann und - dazu passend - die Antidepressiva waren Tofranil von Geigy.


Besser kann man Langeweile nicht inszenieren.


Solche Stücke meide ich in der Regel, und empfehlen kann ich sie eigentlich auch nicht, weil sie manche Leute "runter" ziehen. Allerdings gibt es ja auch das Gegenteil. Gestern, nach der Aufführung, traf ich einen Theaterregisseur, der mir erklärte, ihn würden solche Stücke aufbauen. Er hätte das Wunschkonzert auch schon inszeniert.


Trotz meiner offensichtlichen Abwehr gegenüber solch depressiven Abenden, kann ich diese Kölner Inszenierung aber vorbehaltlos empfehlen. Nicht, weil sie zeigt, wie wir unser Leben mit Pickelbehandlungen verschwenden, sondern weil sie eine perfekte Illustration von Organisationsprozessen ist. Denn dieses Einpersonenstück wird von insgesamt, wenn ich richtig gezählt habe, 12 Personen dargestellt. Gezeigt wird ein Video auf eine Leinwand. Es ist ein Film, wie man ihn auch im Kino oder Fernsehen sehen könnte. Wechsel von Totale zu Close up, Details werden in den Fokus genommen, mit Gegenschnitten gearbeitet, Szenen durch spezifische Geräusche betont, die Musik als dramaturgisches Mittel verwendet usw. Aber dieser "Film" wird gerade in dem Moment, wo er zu sehen ist, produziert. Während die Hauptdarstellerin das Wasser zum Geschirrspülen einlaufen läßt, beginnt eine zweite Schauspielerin das Geschirr zu spülen. Die im Film zu sehenden Nahaufnahmen der spülenden Hände sind ihre Hände. Und die Geräusche werden wiederum von zwei anderen Personen - wie beim Synchronisieren eines Films - an einer anderen Stelle der Bühne produziert. Im Hintergrund spielt in einem Glaskasten ein Quartett die gewünschte Musik.


Insgesamt wird man Zeuge eines hochkomplexen, arbeitsteiligen Organisationsprozesses, an dem eine Vielzahl von Akteuren beteiligt ist, dessen Ergebnis aber von außen betrachtet, d.h. auf der Leinwand, als kontinuierlicher Handlungsfluss eines einzigen Akteurs erscheint.


Ein Lehrstück zur Funktionsweise von Organisationen. (Obwohl ich Zweifel habe, dass das die Botschaft ist, welche die Regisseurin geben wollte.)