Winnenden

Seit gestern gehen die Schüler der Albertville-Realschule in Winnenden - zwei Monaten nach dem Tag des Horrors - wieder gemeinsamen zur Schule. 20 Container-Klassenzimmer in der Nähe des bisherigen Schulgebäudes dienen für längere Zeit als eine Art Notquartier. Dennoch: „Ein Stück Normalität kehrt für die Kinder und Lehrer wieder zurück“, hieß es in den Nachrichten. Normalität?


Wer geht eigentlich der Frage nach, was im konkreten Fall von Tim Kretschmer über die Jahre vor der entsetzlichen Gewalttat passiert ist, dass der Junge einen derartigen Hass auf die Menschen seiner alltäglichen Umgebung entwickelt hat? Steht nicht die brutale Tat am Ende einer langen Entwicklung, in deren Verlauf überhaupt erst der Gedanke der blutigen Rache allmählich keimt? Ist die mentale Einübung des Massenmordes über Killerspiele nicht eine der Stufen auf dem Weg dahin, das Organisieren der Mordwaffe und der Munition nicht das letzte Glied, während die Fantasie lange vorher schon soweit war?


Während über Änderungen des Waffenrechts und das Verbot von Killerspielen mehr oder weniger heiß diskutiert wird, - wobei die Initiative der Eltern ermordeter Kinder von Winnenden jede Unterstützung verdient!! - wird die Frage nach den Ursachen im konkreten Fall wenigstens nicht öffentlich, vielleicht aber auch überhaupt nicht diskutiert. Die Schriftstellerin Ines Geipel, die seinerzeit ein Jahr lang in ihrer Heimatstadt Erfurt die Hintergründe des Amoklaufs von Thomas Steinhäuser untersucht hat, kam ja zum ähnlichen Schluss, dass es dort an der Aufklärung der Hintergründe mangelte.


In der Berichterstattung zu allen bisherigen Amokläufen in Schulen kam immer wieder auch zum Ausdruck, dass die späteren Täter lange den Quälereien und der Ausgrenzung durch die Mitschüler ausgesetzt waren. Von Mobbing war in all diesen Fällen die Rede und davon, dass nichts (oder nicht das Geeignete) dagegen unternommen worden sei.


Ich erlebte in den letzten Wochen wieder vermehrt Hilferufe verzweifelter Eltern, die sich bitter darüber beklagten, dass in den Schulen ihrer Kinder niemand sei, der sich um das schlimme Mobbing kümmere, welches ihre Kinder zu ertragen hätten. Das müssten die Kinder schon unter sich regeln, außerdem würde es schon wieder aufhören, wurde ihnen von Lehrern und Schulleitern gesagt. Dabei lehrt die Erfahrung, dass die lieben Kleinen das Mobbing weder unter sich regeln können, noch von alleine damit aufhören. Ein schlechtes Zeichen, das leider belegt, dass man noch immer vielerorts das verbreitete Schülermobbing nicht ernst genug nimmt.


Hoffentlich ist man in Winnenden klüger und entwickelt jene Sensibilität unter Kolleginnen und Kollegen im Umgang mit den alltäglichen Konfliktsituationen, der zu einem für alle als friedlich und freundlich erlebten Alltagsklima führt. Und hoffentlich macht dieses Beispiel dann Schule damit. Das wäre eine erstrebenswerte Normalität.