Wer versteht diese Katze?

Alle paar Minuten miaut die Katze Mitleid erregend.


Ich arbeite heute, am Dienstag, zu Hause. Das Haus ist voller Handwerker und unsere Mitbewohner sind im Urlaub. Ich hüte auch deren Katze, die sich mit den Baugeräuschen nicht sehr wohlfühlt und nur sehr vorsichtig das Haus betritt und dann sehr anhänglich ist.


An sich alles kein Problem, dann ich hab ja meinen Laptop hier und wir haben vor kurzem WLAN zu Hause eingerichtet, so dass ich kabellos und mit gutem Akku zu Hause arbeiten, surfen und mailen kann, wo es mir beliebt. Nur, dass es nicht funktioniert. Ich kriege keine Netzwerkverbindung.

Und die Katze funktioniert heute auch nicht richtig.

Sie steht miauend vor der Terrassentür. Ich lasse sie rein, kraule sie, arbeite weiter und dann steht sie wieder vor der Terrassentür – diesmal von innen – und will miauend wieder raus. Das geht mit ein paar Variationen den ganzen Vormittag so. Auf den Schoß, Leckerchen, Spielen, Jagen – ändert nichts an ihrer jammervollen Grundhaltung. (Vermutlich fühlen Eltern von kleinen Kindern sich manchmal ähnlich hilflos ;-)


Systemisch geschult, wie ich bin, suche ich eine Lösung zweiter Ordnung. Tür auf, Tür zu hilft immer nur halbminütig. Nächster Versuch: Tür offen stehen lassen. Ändert auch nichts an ihrem unruhigen Rein- und Rauslaufen und mich groß Anschauen. Mit nach draußen gehen – vielleicht hat sie eine Maus für mich gefangen? Sie klebt mir an den Beinen und kommt wieder zurück mit rein. Hmpf.

Schließlich hole ihre Futternäpfe von ihrem gewohnten Platz in dem Wohnbereich unserer Mitbewohner und stelle sie hier unten bei mir in die Küche, immer für Katze zugänglich und in Sichtweite von mir. Sie zeigt kaum Interesse und keine wesentliche Verhaltensänderung.

Dazwischen gehe ich gelegentlich mit dem Laptop in den Keller und stelle eine gewöhnliche LAN Verbindung mit Kabel zum Internet her, damit ich überhaupt mal mailen und meinen Dienstagsbeitrag einstellen kann. Schon wieder miaut Katze Lili herzzerreißend durch die Kellertür...


Was hier fehlt ist – Verständigung. Ich verstehe nicht, was der Katze fehlt oder was sie von mir möchte.

Verstehen, das habe ich bereits angedeutet – und auch in den interessanten Kommentaren wurde es öfter genannt – ist ein innerer Prozess. Kommunikation beschreibt den äußerlich stattfindenden Prozess des Symbolaustausches, in dem man bestimmte Muster erkennen kann. Verstehen passiert in mir. Es ist ein autopoietischer Prozess.

Auch über die Autopoiese wurde in den Kommentaren gesprochen. Ich hatte den Begriff bisher vermieden, aber im Grunde genau darauf rekurriert bei meinem Gerede über Kommunikation. Autopoietische Systeme können sich nur koppeln (über Kommunikation), aber mein Innen bleibt immer mein Innen – ich kann es Dir nicht direkt mitteilen.


Christian Meir schrieb im Kommentar: „Wenn also “verstehen” und “verstanden” werden bei Jürgen Kriz "die Ko-Konstruktion gemeinsamer Bedeutungsfelder" ist, und mir gefällt diese Definition, dann ist doch ganz entscheidend, welches Repertoire an Bedeutungsfeldern die jeweiligen Kommunikationspartner haben, wieviel Ähnlichkeiten, welche Schnittmengen möglich sind. Was sie zulassen können und was nicht.“


Das ist für mich der spannender Punkt. Woraus schöpft der Prozess der Ko-Konstruktion? Was sind das für gemeinsame Bedeutungsfelder? Wo kommen sie her? Und was sagt das über die zwei autpoietischen Individuen, dass sie etwas Gleiches oder Verwandtes konstruieren können?


Für mich beschreibt die Definition von Verstehen als Ko-Konstruktion gemeinsamer Bedeutungsfelder die eine Hälfte.

Die andere Hälfte möchte ich so hinzufügen: Verstehen ist das Wiedererkennen von mir selbst in meinem Gegenüber. Der andere Aspekt daran ist, dass wir Gemeinsamkeit nicht von Null auf Hundert durch Koppelung und Ko-Konstruktion herstellen. Sondern: wir sind schon vorher ähnlich, haben per se verwandte individuelle Bedeutungsfelder. Die müssen wir im anderen entdecken und das leisten wir durch Koppelung. Wir haben also prinzipiell von vornherein das gleiche Spektrum möglicher Konstruktionen zur Verfügung.


Will sagen: Ich kann noch so viel versuchen mich zu koppeln – wenn die zu synchronisierende Perspektive oder Konstruktion nicht zu meinem grundsätzlichen, wenigstens potenziellen Repertoire gehört, mir also nicht schon irgendwie vertraut ist und innewohnt, wird sich keine Ko-Konstruktion, keine Verständigung einstellen. Ich kann keine Perspektive übernehmen, die ich nicht selber habe.


Vielleicht verstehe ich deshalb die Katze nicht? Ich bin keine Katze, vermutlich gibt es besonders katzenhafte innere Bedeutungsfelder, die mir naturgemäß nicht innewohnen und mir deshalb verschlossen sind. Neben den Besonderheiten von Katzen gibt es ja auch Ähnlichkeiten zwischen Menschen und Katzen. Hier lohnt sich ausgiebige Beschäftigung mit Katzen, um deren Sprache besser verstehen zu lernen und zu erkennen, was dies Miauen oder jenes Umstreichen bedeutet. Und Erkennen heißt: in mir selbst wiederentdecken.


Bei Kindern sagt man häufiger: Das können die noch nicht verstehen. Sie entwickeln nach und nach mehr innere Reife, um immer mehr verstehen zu können. „Immer mehr“ ist dabei ein hierarchischer Prozess, wie Piaget mit der kognitiven Entwicklung gezeigt hat oder Kohlberg mit der moralischen Entwicklung. Der nächste Entwicklungsschritt ist immer qualitativ weiter und umfassender, nicht einfach nur mehr oder anders. Die Entwicklungsebenen sind bei allen Menschen die gleichen.


Es mehren sich die Stimmen, dass die Entwicklung von Kognition, Moral, Liebe und vielen anderen Dingen nicht bei jungen Erwachsenen aufhört, sondern ein Leben lang weiter gehen kann. Das heißt, dass es eine hierarchische Landkarte von individuellen und sozialen Bedeutungsfeldern geben kann, die uns beim Verstehen und Verbessern von Verständigung zwischen Menschen helfen kann. Wier sind Menschen, die nicht nur einfach verschiedene Konstruktionen haben. Die Konstruktionen unterscheiden sich durch eine spezifische Art und Weise, sie sind auch Ausdruck von mehr oder weniger Entwicklung – und von von mehr oder weniger Kompetenz, Andere zu verstehen.