Wer beobachtet eigentlich wen?

Seit einigern Wochen habe ich zwei Pflegekatzen in meinem Haushalt. Katzen sind für mich interessante Tiere, aber ich habe noch nie mit welchen gelebt. Die erste Woche ging es mir, wie vor 27 Jahren, als ich zum ersten Mal Kinder betreuen sollte. Da ich keine wesentlich jüngeren Geschwister oder sonstige Verwandte habe und seltsamerweise damals auch keine Freundinnen mit jüngeren Geschwistern, wußte ich wenig über die Bedürfnisse von Kindern. Ich erinnere mich noch daran, dass ich immer Angst hatte, den Kindern, auf die ich aufpasste, könnte in der Abwesenheit Ihrer Eltern und in meiner Gegenwart etwas zustossen. Vergleichbar ging es mir zunächst mit den Katzen. Ständig überprüfte ich, ob sich nicht doch irgendein Fenster in Kippstellung befand (eigentlich kippe ich Fenster nie, sondern öffne sie ganz....) und ob ich die Balkontür auch wirklich gut verschlossen hatte, denn es waren noch keine Netze zur Verhütung der Absturzgefahr gespannt. Wenn eine Katze auf den Schrank sprang erschrak ich und befürchtete, dass sie allein nicht mehr herunterkommen würde. Ich lief nur noch ganz achtsam, langsam und vorsichtig, damit ich niemandem auf die Pfote oder den Schwanz trat.


Dann gibt es Phasen, wo ich die Katzen zwischendurch immer mal als störende, ja fast rücksichtlose WG-Mitbewohner empfinde. Wenn ich schlafen will, machen sie im Nebenzimmer Lärm, werfen Vasen von Regalen, spielen Fangen quer durch die Wohnung und setzen sich dann miauend vor die Schlafzimmertür. Wenn ich durch die Wohnung hetze, z. B. weil ich pünktlich weg muss, fühle ich mich direkt eingeschränkt, wenn sie sehr beharrlich auf ihr Frühstück bestehen. Tagsüber sind sie dann wieder so nett und kuschelig und scheinen meine unterschiedlichen Stimmungen zu spüren. Als eine Freundin, eine Verabredung telefonisch absagt, auf die ich mich den ganzen Tag gefreut habe und ich etwas enttäuscht bin, kommen sie beide und legen sich zu mir aufs Sofa.


Mit der Zeit, die wir miteinander verbringen, löst sich meine Unsicherheit ihnen gegenüber auf. Ihr Vertrauen und ihre gleichzeitige Autonomie - sie entscheiden, wann sie sich "auf Nähe einlassen" und nicht mein Terminkalender - rühren mich.

Und ich mache die Erfahrung, dass es sogar im Umgang mit Katzen "rekursive Feedback-Schleifen" gibt: Wenn ich in gutem Kontakt mit mir selbst bin, mich ausgeglichen fühle und es mir gelingt, ganz in der Gegenwart zu leben, sind auch die Katzen entspannter und gelassener. Oder nehme ich das nur so wahr? Weil ich eine andere "Brille" trage und ihr Verhalten anders konnotiere? Etwa ihr "Fangen spielen" als witzig (statt bescheuert), oder ihr miauen als niedlich (statt als anstengend oder gar nervend).


Wir wissen nicht , wie lange wir hier zusammen leben werden. Bis ihre Besitzerin eine neue Wohnung findet - und das kann dauern. Manchmal frage ich mich auch, wer hier eigentliche wen beobachtet. Was "denken" diese Katzen über mich und mein Leben?

Ich erinnere mich an diverse Cartoons, z. B. das vom Pawlow`schen Hund, der immer wieder mit seinem Glöckchen läutet. Und unter dem Bild steht der Satz: "Ach interessant - ich habe ihn schon wirklich gut konditioniert, wenn ich läute bringt er mein Fressen!"


Während ich hier über das mögliche Denken der Katzen (und Hunde) philosophiere, sind 150 000 Menschen auf der Flucht vor "Wilma". Abends in den Nachrichten höre ich es seit einigen Tagen und tagsüber vergesse ich es wieder. Wenn ich die Berichterstattung verfolge, dann kommen die Beschreibungen bei mir an, als handele es sich um eine science fiction story. Und es geht mir erst mal nicht sehr nah.

Allerdings kann ich mir das Hörspiel von Frank Schätzing, "Der Schwarm", das ich geschenkt bekommen habe, nicht anhören, obwohl ich sonst leidenschaftliche "Höhrerin" bin. (Von Harry Potter über Thomas Mann bis Gunter Schmidt höre ich alles...)


Manchmal empfinde ich das Nebeneinander der vielen "Innen- und Außenwelten", schon verwirrend. Aber auch faszinierend. Wie schnell wir Menschen (manchmal) in der Lage sind, die Wirklichkeiten zu wechseln...


Und eben, als ich durch die Stadt ging, las ich auf einem Werbeplakat von Seiko: "Die Uhr, die sie

tragen, entscheidet wer sie sind!" Das ist jetzt natürlich sehr überraschend für mich - besonders, weil ich nie eine Uhr trage...ich besitze keine...und benötige auch keine. Tja wer entscheidet dann, wer ich bin?