Wem gehört die Stadt?

Wem gehört die Stadt?


Morgendliches Zeitung-Lesen gibt einem ja immer wieder mal Denkanstöße. So konnte ich vor kurzem lesen, dass am Forum Alpbach, dem alljährlichen österreichischen Sommerlager für Denker, Politiker und Lobbyisten, heuer unter anderem über Architektur und Stadtentwicklung philosophiert wurde. Und da bezog der darüber berichtende Journalist eingangs gestellte Frage – nämlich wem denn nun die Stadt gehöre – auf einen Diskussionsbeitrag eines professoralen serbischen Teilnehmers, dass nämlich sich ebendort wenig verändern werde, solange die besten Grundstücke dem Milosevic-Clan gehören.


Was mich doch gleich veranlasst, die Veränderungsrelevanz von Eigentumsverhältnissen an meiner geliebten Heimatstadt Wien zu überprüfen: Also, die Innenstadt gehört um diese Jahreszeit eindeutig den Touristen. Auch wenn sie keine formalen Eigentumsrechte darauf anzumelden haben, so zerstreut das Geld, das sie hier zurücklassen, doch jeden diesbezüglichen Zweifel. Dagegen hätten nicht einmal der alte Kaiser und seine Sisi was zu melden. Und da die Touristen in der Mehrzahl Wien so vorfinden wollen, wie sie der Kaiser und Sisi verlassen haben: Wenig Veränderung absehbar – und das ganz ohne Milosevic.


Aber dann, jenseits der musealen Weltkulturerbe-Zonen – jede Menge Bewegung: Die Wiener Krankenanstalten, wie das auf altösterreichisch so schön heißt, wurden ausgegliedert – was heißt, dass sie nun wie Firmen Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen erstellen. (Frage am Rande: Ist der schnelle Tod eines teuren Intensivstation-Patienten im Sinne dieser Rechnung nun ein Gewinn? Oder doch ein Verlust?)


Aber zurück zum Thema: Mit der Ausgliederung – und natürlich viel mehr Autonomie als früher – wurde den Krankenhäusern auch der Geldhahn ein wenig zugedreht (ein Phänomen, das im übrigen auch Schulen und Universitäten beobachten können – Selbständigkeit hat eben ihren Preis!). Und jetzt brauchen sie Geld. Alte Spitäler werden geschlossen – unrentabel, weil im 19. Jahrhundert erbaut, in dem man noch glaubte, Kranke bräuchten nicht nur Apparate, sondern Ruhe, Spaziermöglichkeiten und gute Luft. Wunderbare Grünareale in bester Lage – Steinhof, Semmelweisklinik, Glanzing – für Wien-Kenner klingende Namen und Gusto-Stückerln für Investoren, beste Lage für Luxuswohnungen.

Der gute alte Semmelweis. Das war der, der draufgekommen ist, dass so viele Frauen im Spital an Kindbettfieber starben, weil sich die Ärzte nach den Autopsien der Toten nicht die Hände wuschen, bevor sie Geburtshelfer spielten. Die nach ihm benannte Klinik wird nun also geräumt – zu viel Luxus für Frauen ohne Privatversicherung. Wem gehört die Stadt?


Alles in Bewegung, nur keine Stagnation: Wien ist der größte kommunale Wohnungseigentümer der Welt – ein Erbe des „Roten Wien“ der Zwischenkriegsjahre des 20.Jahrhunderts: Aus den Mitteln einer Wohnbausteuer auf Hausbesitz wurden riesige Anlagen von leistbaren Wohnungen errichtet, nicht wie in Paris oder anderswo in Vororten, sondern in besten Lagen mitten in der Stadt, mitten in Nobelbezirken. Und so hat diese Stadt trotz ihrer hohen Lebensqualität bis heute einen sehr niedrigpreisigen Wohnungsmarkt. Lange werden die Wohnungsmarkt-Dynamisierer wohl nicht mehr warten müssen und die durch Sparpakete, Nulldefizite und Steuersenkungen so lustvoll herbeigeführte finanzielle Misere der Kommune wird die Besitzverhältnisse ändern – mehr privat, weniger Staat –und endlich hat Wien auch im Feld der Immobilienspekulation den Sprung von der verschlafenen Grenzstadt zum Mittelpunkt des im freien Markt pulsierenden Europas geschafft. Und dass sich der Milosevic-Clan hier einnistet, wird man ja hoffentlich zu verhindern wissen...