Was ist Arbeit?

Das Problem - oder besser gesagt: mein Problem - mit den meisten Kritikern wirtschaftlicher bzw. politisch-ökonomischer Verhältnisse, angefangen bei Marx bis zu den Autoren des MGDA, ist, dass sie stets versuchen, Arbeit und ihren Wert objektiv zu definieren. Sie hängen - warum auch immer (ich habe da Hypothesen, verkneife mir aber, sie zu äußern) - einem Objektivitätsideal an, das m.E. für die Schwierigkeiten verantwortlich ist, die ich und manch andere mit ihren Konzepten und Texten haben...


Um nicht selbst in diese Falle zu gehen, will ich bei mir selbst als Beobachter beginnen und ausdrücklich betonen, dass ich mit der nun folgenden Definition von "Arbeit" nur über meine eigene Konstruktion sprechen will, also etwas, das analog zur "gefühlten Temperatur" im Gegensatz zur "gemessenen Temperatur" verstanden werden kann. Ich will versuchen, die Merkmale der Unterscheidung für "gefühlte Arbeit" zu benennen, und hoffe, die Außenseite der Unterscheidung (="gemessene oder objektivierte Arbeit") auf diese Weise undefiniert lassen zu können.


Wenn ich versuche zu reflektieren, wann und unter welchen Umständen ich den Eindruck habe zu arbeiten, dann hat das weniger mit der aktuellen Tätigkeit "an sich" zu tun, sondern stets mit dem aktuellen sozialen Kontext. In meiner inneren Buchführung schreibe ich all die Aktivitäten der Seite "Arbeit" zu, in denen ich Anforderungen anderer zu entsprechen versuche, die ich nicht spontan und aus eigenem Antrieb ausführen würde. Arbeit ist für mich immer als (auch) als fremdbestimmt, oder besser: fremdmotiviert, definiert. Das gilt auch dann, wenn ich dabei etwas tue, was mir Spass macht (und das ist meistens der Fall). Trotzdem: Ich würde es nicht tun, wenn ich nicht den Erwartungen anderer damit gerecht zu werden versuchte. Das bezieht sich auf Therapie-, Beratungs-, oder Coachingsitzungen (die ich ja nie ohne andere = Patienten, Klienten, Kunden etc. ausführen würde) genauso wie auf Seminare, Vörträge, öffentliche Auftritte aller Art und die konkreten Aktivitäten, die mit von mir ausgefüllten Rollen innerhalb von Organisationen verbunden sind. Dass ich Geld dafür bekomme, ist nicht das Unterscheidungskriterium, obwohl es natürlich Auswirkungen darauf hat, wie gern oder ungern ich etwas tue (ich bin da durchaus bestechlich). Denn oft genug arbeite ich in diesem Sinne auch, ohne dafür Geld zu bekommen.


Wenn ich lese oder schreibe, ein Buch oder einen Artikel, so ist das in der Regel für mich keine Arbeit. Es sei denn, ich habe einen Schreibauftrag (meist auch noch mit Terminsetzungen, Themenvorgaben, Umfangsvorgaben etc. verbunden) angenommen. Dann ist auch das Schreiben Arbeit.


Wahrscheinlich ist mein Schreiben ein Beispiel für das, was Muße bzw. ihr Ergebnis genannt werden kann.


Die Arbeit, die ich zu erledigen habe, ist nicht wirklich das, was man üblicherweise als entfremdet bezeichnen könnte, da ich es letztlich bin, der sich immer wieder aufs Neue in die Situation bringt, Einladungen an andere zu senden, die ihn (=mich) dazu zwingen zu arbeiten (im o.g. Sinne). Hier schließt sich der Kreis. Das tue ich, weil ich diese Art von Arbeit für sinnvoll erachte. Und zwar in doppelter Hinsicht: Für diejenigen, die sich meine Arbeit gefallen lassen (sie kommen freiwillig), und für mich, weil es zu meinem Lebensunterhalt beiträgt und auch darüber hinaus für mich einigermaßen befriedigend ist (eben, weil meine Tätigkeit von anderen offenbar als sinnvoll erlebt wird).


In dieser Form - die natürlich extrem privilegiert ist - kann ich keinen Grund sehen, prinzipiell gegen Arbeit zu kämpfen.


Ich kann mir allerdings kaum vorstellen, dass ein solches Maß an Selbstbestimmung verallgemeinert werden kann, ohne dass unsere Gesellschaft bzw. die sie tragenden Organisationen zusammenbrechen würden. Denn die Arbeit in Organisationen ist in der Regel weit "entfremdeter" und muss das wohl auch sein, um Routinen zum Erhalt der eigenen Autopoiese zu gewährleisten.


Allerdings ist das alles kein Grund, Arbeit zu idealisieren. Wer Arbeit akzeptiert, akzeptiert das Realitätsprinzip. Und die Realität ist immer irgendwer oder -was Anderes, das Anforderungen stellt und mit Sanktionen droht und Gratifikationen verspricht. Doch diese Realität ist nicht objektiv und starr vorgegeben, sondern veränderbar, verhandelbar, (mit-) gestaltbar. Man muss sich nicht einfach fügen, man kann sagen: "So nicht (zumindest nicht mit mir)!" Allerdings sollte man dann nicht über die Konsequenzen lamentieren.