Warum Einzeltherapie schwieriger ist als systemische Familientherapie

Psychologen hatten immer (und haben immer noch) große Schwierigkeiten zu verstehen, was eigentlich der Clou an systemischen Therapie- und Beratungsansätzen ist.


Wer darauf hin ausgebildet worden ist, sich in andere Menschen einzufühlen, hat natürlich große Schwierigkeiten, wenn er vor der Aufgabe steht, sich nicht nur in einen Menschen, sondern in vier oder fünf (Mama, Papa, Kind und Oma) einzufühlen. Die Komplexität explodiert, vor allem, wenn er auch noch versucht zu verstehen, wie das Tun des Einen das Tun des Anderen ist, d.h. wie die Wechselbeziehungen des Erlebens sind.


Wer von solch einem - ja durchaus legitimen - Ansatz ausgeht, landet fast zwangsläufig bei der Einzeltherapie.


Die systemischen Ansätze (zumindest wie ich sie verstehe - um hier nicht ohne Mandat für Kollegen zu sprechen) richten den Fokus der Aufmerksamkeit hingegen auf die Spielregeln der Interaktion und Kommunikation. Vorannahme ist, dass die psychischen Prozesse der Mitglieder des Systems an die Dynamik der Kommunikation gekoppelt sind, d.h. wenn sich deren Spielregeln verändern, ändert sich auch die Symptomatik (etc.).


Wenn man so blickt - was natürlich ein radikaler Paradigmawechsel ist - dann wird die Arbeit mit Mama, Papa, Kind und Oma viel leichter, denn man muss sich nicht mehr in die Mitglieder der Familie einfühlen (obwohl das auch nicht schadet), sondern die Aufmerksamkeit auf die Spielregeln der Interaktion richten, die mit positiv (=Lösung) oder negativ (=Problem) bewerteten Erlebensweisen oder andern Phänomenen wie z.B. Symptombildung verbunden sind. Wenn dann noch betrachtet wird, wie jeder Einzelne Einfluss darauf hat, diese mit negativ bewerteten Konsequenzen verbundenen Spielregeln in Szene zu setzen, werden alle Beteiligten in die Verantwortung für nützlichere oder weniger nützliche Spielregeln gesetzt. Wenn sie etwas ändern wollen, dann wissen sie zumindest, was sie besser unterlassen sollten.


Da sich Spielregeln der Interaktion weit weniger komplex sind als die Psychodynamik auch nur eines Teilnehmers an der Interaktion und sich obendrein solche Spielregeln ändern lassen, ohne dass sich die Spieler radikal ändern, ist das eine simple Methode relativ schnell radikale Veränderungen zu ermöglichen (siehe unsere Arbeit in Heidelberg mit Familien mit einem als psychotisch diagnostizierten Mitglied).


Die einzigen Spielregen der Interaktion/Kommunikation und Beziehung, die man in der Einzeltherapie direkt beobachten kann, sind die in der Therapie/Beratung selbst realisierten. Dabei ist nicht zu kären, wie man selbst zu ihrer Herstellung/Erhaltung beiträgt. Deswegen ist Familientherapie einfacher - wenn man sie als systemische Therapie versteht - als Einzeltherapie, dann man kann seine Aufmerksamkeit auf die Spielregeln des sozialen Systems richten, deren Mitglieder übrt die Zeit eine gemeinsame Geschichte durchlaufen und dabei ihre Kommunikationsmuster kreieren und erhalten.


Das alles ist hier natürlich nur skizziert dargestellt. Wer mehr davon wissen will, sei verwiesen auf "Einführung in die (System-)Theorie der Beratung", Carl-Auer Verlag (an den Namen des Autor erinnere ich mich gerade nicht).