Waffenstillstand

Seit heute morgen herrscht ein offizieller Waffenstillstand zwischen Israel und – ja – wem eigentlich? Der Hisbollah, dem Staat Libanon?


Im Fernsehen kann man sehen, dass Hunderttausende von Menschen sich auf den Weg in den Südlibanon gemacht haben, um ihre verlassenen Häuser wieder in Besitz zu nehmen. Die Staus sind riesig, da die Strassen zum Teil zerbombt sind. Die Menschen vertrauen offensichtlich darauf, dass die Waffen schweigen. Doch wie lange wird und kann solch eine Waffenruhe halten?


Aus systemtheoretischer Sicht, sind Kriege ja eher unterkomplexe Systeme – auch wenn Systemiker sich offensichtlich nicht gern damit beschäftigen. Da ich ein Buch zu dem Thema geschrieben habe, in dem – wie ich denke/hoffe – alles steht, was zum Verständnis der Dynamik von Kriegen (wie sie anfangen, wie sie aufhören bzw. nicht beendet werden) nötig ist, verfolge ich solche Konflikte immer mit einer Mischung aus Entsetzen und (ich gestehe, etwas peinlich berührt) besserwisserischer Genugtuung. Entsetzt bin ich natürlich vom menschlichen Elend, das da zu beobachten ist. Aber auch von der offensichtlichen Dummheit der Entscheider. Nicht, dass ich Krieg für eine besonders intelligente Problemlösung halte, aber ich halte sie auch nicht immer für dumm, nicht einmal für immer moralisch zu verdammen (das kann ich hier als staatlich geprüfter Kriegsdienstverweigerer bekennen).


Ihre Funktionalität gewinnen sie immer dort, wo sie klare Verhältnisse schaffen, wo es eindeutige Sieger und Verlierer geben kann. Das war bei den alten zwischenstaatlichen Kriegen so: Da hat am Ende einer kapituliert, die weiße Fahne hochgezogen und sich unterworfen. Das heißt, es wurde eine Oben-unten-Beziehung hergestellt und akzeptiert, man war sich über die gemeinsame Beziehung einig (das war am Ende des 2. Weltkriegs zwischen Deutschland und den Alliierten so) – der Krieg war beendet.


Die Paradoxie des Krieges besteht darin, dass immer der Verlierer bestimmt, wann der Krieg zu Ende ist und ob der Sieger der Sieger ist. Man kann nicht einseitig eine Beziehung definieren, aber man hat einseitig ein Vetorecht gegenüber jeder Beziehungsdefinition.


Eine Situation, in der man es mit einem kaptitulationsfähigen oder vernichtbaren Gegner (z.B. einem Staat) zu tun hat, ist aber nur selten gegeben. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Krieg als ein Mittel der Problemlösung seine Funktionalität gewinnen kann.


Das ist in der Beziehung zwischen Israel und der Hisbollah nicht der Fall, auch nicht in den blödsinnigen Kriegen, die von den Amerikanern unter G. W. Bush immer wieder ausgerufen werden: gegen den Terror, die Drogen, den Hunger, das schlechte Wetter – Ausnahme, da gewinnbar (vernichtbarer Gegner): gegen den Ozongürtel...


Ganz generell gilt, dass der Beginn eines Krieges immer ein Symptom der Machtlosigkeit oder des Machtverlustes ist. Wer sich darauf einlässt, riskiert, dass diese Machtlosigkeit deutlich und für jedermann unübersehbar wird. Deswegen war der Irakkrieg Zeichen des Niedergangs der amerikanischen Hegemonie und nicht deren Ausdruck, und deswegen steht Israel jetzt schlechter und in seiner Sicherheit gefährdeter den Nachbarn im Nahen Osten gegenüber als vor dem Beginn der Vergeltungsaktionen für die Entführung zweier Soldaten...


Die Konsequenz: Die Politik ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Wo Gewalt keine Einigung über die Art der Beziehung erzwingen kann, muss man auf andere Mittel der Kommunikation zurück greifen, die differenziertere Lösungen als nur das Entweder-oder des Siegens oder Verlierens eröffnen... Das ist, nebenbei bemerkt, auch die Wurzel der menschlichen Zivilisation.


Das steht natürlich alles in meinem Buch (Tödliche Konflikte), aber – wie heißt es so schön bei F.K. Waechter – "es guckt wieder mal kein Schwein..."