Von Trockenbauern und Kranfahrern

Liebe Leserin, lieber Leser,


gestern Abend traf ich in der Nähe von Zürich, im Hinterhof eines christlichen Tagungszentrums, in den Leute verbannt werden, die eine Pfeife oder ähnliches rauchen wollen, einen etwa 30jährigen Mann, der schon reichlich dem Alkohol zugesprochen hatte. Wir kamen ins Gespräch, es stellte sich heraus, dass er aus der Gegend von Magdeburg stammt, dort zwei Kinder hat und in der Nähe als Trockenbaumonteur in der Nähe arbeitet. Alle vier Wochen fährt er mit dem Autop nach Hause, um die Kinder zu sehen. Als ich mich als jemand zu erkennen gab, der in Jena arbeitet, ging ein Leuchten über sein Gesicht, das noch strahlender wurde, als wir uns über Rügen unterhielten, wo er früher einmal eine Wohnung hatte. Lobend sprach er dann über die Arbeitsbedingungen und den Lohn in der Schweiz, dann wollte er wissen, was ich am Sonntag wählen würde, und ich gab Auskunft. Er schimpfte über Harz IV und darüber, dass der Osten von den Politikern verkauft worden sei, er habe per Briefwahl WSAG gewählt. Meine Idee, dass er mit der Wahl dieser Partei (înteressanterweise bezog er sich weder auf die PDS noch auf die Linkspartei, sondern über die kleine West-Schwester dieses Ensembles, die WSAG) eben die wirtschaftliche Ausrichtung bekämpfe, die ihm seinen guten Job in der Schweiz verschafft haben, wollte er nicht weiter verfolgen.


Hinzu trat dann ein weiterer, ebenfalls ca. 30jähriger Mann, auch aus der Gegend von Magdeburg, Kollege des ersten, der deutlich mehr als dieser an Alkohol geladen hatte und, nachdem er unser Gesrpäch eine Zeitlang verfolgt hatte, mehrmals äusserte: "Wer hat uns verraten? Die Demokraten." Sein Kollege versuchte ihn zu besäntigten, er blieb aber bei seiner These und lobte die alten Preussen.


Soweit, so gut. In der Nacht ging mir die Begegnung noch eine Weile durch den Kopf. Wie muss man sich das Leben dieser Männer vorstellen in der Zeit, in der sie weder am Trockenbauen noch auf der Heim- oder Herfahrt sind? Wo gibt es Orte, an denen sie sich austauschen können, ohne sich gleich zu betrinken? Die frühen italienischen Arbeitsmigranten in der Schweiz hatten die missione cattolica, die italienischen politischen Migranten politische Treffpunkte wie das cooperativo in Zürich. Diese beiden, fürchte ich, werden nichts haben. Sie stecken, scheint mir, in der Falle. Als Deutsche sind sie in der Schweiz Gastarbeiter erster Klasse, keiner wird auf die Idee kommen, dass sie Unterstützung brauchen. Sprachbarrieren haben sie keine besonderen, und am Ende wird es so sein, dass sie irgendwo im Niemandsland zwischen Nicht-mehr-dort und Nicht-hier sich bewegen, vereinzelt, ohne Vergemeinschaftungsformen zur Sicherung ihrer Identität. Als Sachsen-Anhaltiner werden sie mit der für den deutschen Süden und Südwesten (von Thüringen über Sachsen bis Baden-Württemberg und Bayern) wie für die gesamte Schweiz besonders typischen zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie Vereinen etc. wenig anfangen können (wir wissen das aus den Untersuchungen am SFB 580 in Jena), als in der DDR Sozialisierte spielen die Kirchen für sie keine Rolle. Ostdeutsche, die sich mit ihren Familien hier niedergelassen haben, bleiben unter eher sich.


Aber es gibt auch die andere Seite: Einer dieser erfolgreichen Migranten, ein Kranführer aus Thüringen, kam heute in der NZZ zur Sprache, er hat bereits eine kritische Position gegenüber dem politischen Geschehen in Deutschland eingenommen, allerdings nicht die der Linkspartei. Ihm gehen in Deutschland die Reformen nicht schnell genug, er sähe lieber einen wirtschafgtsliberalen Kurs am Zuge


Die Situation der beiden Trockenbauer verweist auf eine Lage, die wenig mit psychischer Verfassung und viel mit Milieu zu tun hat. Wer von einem florierenden Arbeitsmarkt in der Fremde praktisch profitiert und mental sich mit den Entwicklungsblockaden herumschlägt, die er im Prinzip hinter sich lassen könnte, hat keine Zukunft. Und die zivilgesellschaftliche Infrastruktur, die ihn locken und ihm helfen könnte, aus dieser Falle herauszukommen, kann er durch seine Blockade nicht nutzen. Dies ist die andere Seite der Stagnation in Deutschland, speziell im Osten.


Schönen Abend!


Bruno Hildenbrand