Verstörende Nüchternheit

###Richtung Süden###

Haben Sie heute morgen etwa den Beitrag „Einweisung ins Abenteuer Nüchternheit“ in der Süddeutschen gelesen? Wahrscheinlich nicht. Lohnt sich auch nicht. Es sei denn sie interessieren sich für eine recht langweilige Datensammlung zur Kulturanthropologie deutscher Suchtkliniken (letzteres wäre an und für sich ein interessantes Unternehmen). Aufschlussreich trotzdem die beiläufige Bemerkung, dass es im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich etwa 200 Patienten auf Entgiftungs- bzw. Suchtbehandlungsplätzen im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich bundesweit gäbe. (Zu ergänzen: 17 davon - demnächst doppelt soviel - in Baden-Württemberg.) Nun könnte man darüber klagen, dies sei verschwindend wenig, gerade wenn man die Situation der beschriebenen Randgruppen genauer kennt; man könnte argumentieren, hier solle etwas nicht gesehen werden, was es nicht geben darf. Oder: die Betroffenen Gruppen haben keine Lobby usw.

Lustiger und aussagekräftiger bezüglich unserer Suchtklischees ist jedoch die asketisch anmutende Enthaltung dieses und vieler anderer journalistischer Publikationen bezüglich der sozialen Hintergründe, Funktionen und „persönlichen“ Motive zum Suchtmittelkonsum. Habe ich „Suchtmittelkonsum“ geschrieben? Ich meine eigentlich: es geht in gewisser Weise zu einseitig um die „Mittel zum Sucht-Konsum“. Unser medizinischer, politischer und wohl auch elterlicher Diskurs über psychoaktive Substanzen und die damit verbundenen gesellschaftlichen Probleme ist eben trotz und auch wegen bestimmter Formen Wissenschaftlichkeit „drogenfixiert“, pathologiefixiert, moralisierend. Tunnelblick auf den „bösen“ Alkohol usw., grobgeschnitzte Furchtappell-Etüden. „Was hat der Alkohol aus mir gemacht“, statt „was habe ich aus dem Alkohol gemacht (wir können beliebig andere Substanzen hinzufügen)“?

Um was aus diesen Substanzen „zu machen“ braucht es scheinbar soziokulturelle und biografische Ordner, die „Kontrolle“ und Integration fördern. Ressourcen, medial und (sub)kulturell vermittelte Wertorientierung, Institutionen, die dies fördern und sichtbar machen, „integrative Rituale“, ganz allgemein Sinnmacher (z.B. Ausbildung und Arbeit). Es brauch Chancen für die Entwicklung von Kohärenzsinn ( hier finden sich auch die Alternativen zur Pathologiefixierung der Suchtforschung): Wie machen’s die, die’s können?

Bevor ich hier ins Dozieren komme: das ist ja ein Weblog, ich habe mir vorgenommen, angemessen sprunghaft zu sein ... Sprung -;):


###Noch weiter südlich: Hinter den sieben Bergen ... Die berauschte Schweiz?###

Vorgestern eine Mail erhalten: Noch in diesem Herbst wird in der Schweiz zum ersten Mal seit 1993 wieder Psychotherapie mit MDMA („Ecstasy“) beginnen. Eine klinische Studie mit PTSD-Patienten wie sie identisch auch in den USA von Mithoefer und demnächst in Spanien und Israel durchgeführt wird. Das MDMA wird gerade verkapsuliert und für die Randomisierung im Rahmen der Behandlung vorbereitet. Spinnen die Schweizer? Noch nie etwas von Neurotoxizität gehört?

Oder einfach ein bisschen mehr Nüchternheit bei der Risikobewertung.