Verständigung - das Gute an der Kommunikation

Als ich gelernt habe, dass Kommunikation - streng systemtheoretisch betrachtet - ein weitgehend eigenständiger Prozess ist, der zwar unter der Beteiligung anwesender Personen abläuft, aber nicht von ihnen intentional bestimmt wird, habe ich mich gefreut. Endlich wurde mir erklärt, wieso Kommunikation so oft schief geht. Und endlich war sicher, dass wir Menschen etwas viel komplexeres und freieres sind als informationstechnologische Maschinen, die wie Sender und Empfänger direkt Informationen austauschen.

Diese Freude hielt jahrelang.


Inzwischen mache ich mir mehr und mehr Sorgen um die Verständigung.

Weil: Schön, wenn man weiß, warum nichts funktioniert. Aber: warum gibt es dennoch hin und wieder das sichere Gefühl der echten Verständigung, des gegenseitigen direkten Verstehens mit einem anderen Menschen?

Es gibt sogar Menschen, mit denen sich Verständigung verlässlich wiederholen lässt. Da sind auch tiefe Missverständnisse selten – und wenn sie auftreten, sind sie leichter zu klären. Es ist alles so himmlisch einfach: Ohne viele mühsame Worte versteht man einander, Absprachen klappen, Wünsche und Vorstellungen harmonieren...wenn man so jemanden mal gefunden hat und er/sie auch noch die passenden geschlechtlichen Vorlieben hat, sollte man sofort heiraten ;-)


Eins ist mir jedenfalls mit der Zeit klar geworden: Kommunikation und Verständigung sind zwei verschiedene Sachen.

Wir können zwar in den systemtheoretischen Modellen der Kommunikation Gründe finden, warum Verständigung nicht funktioniert. Zum Beispiel bei Luhmann. Niemand hat wohl Kommunikation so streng als rein soziales Phänomen erklärt wir er. Demnach haben wir als Individuen fast nichts mit der Kommunikation zu tun. Wir liefern Wortbeiträge, aber wie die Unterhaltung weitergeht, also wer was versteht und wie darauf reagiert wird, können wir nicht gezielt beeinflussen oder einfach vorhersehen. Die Kommunikation verläuft nach ihren eigenen Regeln, sie ist ein eigenes soziales System. Was wir Individuen uns eigentlich wünschen, nämlich echtes Verstehen und verstanden Werden im Austausch mit anderen Menschen, kommt in der Systemtheorie nicht vor.

Dass Verständigung im hier verwandten Sinn in der Systemtheorie der Kommunikation nicht vorkommt, muss nicht heißen, dass sie ein romantisches Hirngespinst ist. Verständigung erleben wir tatsächlich. Nur: die Suche nach anderen Modellen zur Erklärung wird kniffliger, wenn sie die Ableitungen aus der Systemtheorie nicht komplett negieren sollen. Ich habe mich schließlich jahrelang über ihren Erklärungswert gefreut!


Warum reite ich eigentlich so auf der Verständigung herum?

Nun, weil sie ein zentrales Anliegen meiner Kunden ist. Wann immer es um interne Prozesse im Unternehmen geht, also im weitesten Sinn um Arbeitsabläufe, Schnittstellengestaltung, Teamarbeit oder Führung, soll die Verständigung besser klappen. Man braucht Verständigung um alle möglichen Handlungen vieler Leute zu synchronisieren, damit bestimmte Arbeitsergebnisse erzielt werden. Und Verständigung soll mithilfe von Kommunikation hergestellt werden. Da schließt sich der Kreis.


Jetzt im Sommer, wo viele in Urlaub sind, weniger zu tun ist und ich mich in der Hitze kaum bewegen mag – außer zum Kiessee – liebe ich es, an diesem Thema zu arbeiten.

Es lässt sich schon einiges darüber sagen, wieso Verständigung funktioniert, was die nötigen Kompetenzen dafür sind und inwieweit die lernbar sind. Und es gibt außer den wenigen hier genannten auch noch mehr Gründe, warum Verständigung nicht funktioniert...


Die „Lernbarkeit“ ist für mich eine der spannendsten Fragen: Kann man lernen, mit seinen Mitmenschen eine bessere Verständigung „herzustellen“– gerade unter Berücksichtigung der „systemischen Umstände“? Wo setzte ich da an und wie geht das genau...