Verhinderte Utopie

Eigentlich hatte ich vor, meine Kehrwochenreihe mit einigen utopischen Beiträgen zu beginnen: neue Ideen, unausgereifte Gedanken, abstruse Vorstellungen, zukunftsorientierte Spinnereien. Utopie: laut [Wikipedia](http://de.wikipedia.org/wiki/Utopie) eine "Welt, die bisher keinen Ort hat und nur als Gedanke und Idee existiert". Systeme im embryonalen Stadium?!?


Am Freitag gegen 19.30 Uhr, meine Frau und ich genossen gerade einen der seltenen Abende zu zweit und ohne Töchterchen, kam der Anruf. Mein Schwiegervater hatte einen Schlaganfall erlitten und wurde in die Heidelberger Uniklinik eingeliefert. Das war wieder einer dieser Momente, in denen man spürt, wie sich von einer Sekunde auf die andere Grundlegendes verschiebt, und die man im ersten Moment am liebsten verdrängen möchte - bringt einem ja die ganze Planung für´s Wochenende durcheinander.


Seitdem der übliche Ablauf:


* Der heftige Kontakt mit dem bundesdeutschen Gesundheitssystem erzeugt genügend Irritationen, um der aktuellen politischen Debatte eine höchst persönliche Komponente hinzuzufügen.

* Lange erfolgreich verdrängte Fragen nach Pflegestufen, Versicherungen, Patientenverfügungen etc. etc. melden sich zurück.

* Das Familienleben stellt sich schnell auf die neue Situation ein, meine Frau fährt täglich in die Klinik, ich übernehme einen guten Teil der häuslichen Logistik und die Tochter.

* Das Internet erweist sich einmal mehr als die Quelle, der weit schneller und zuverlässiger Informationen liefert als alle beteiligten Experten.


Eine weitere Konsequenz ist die Erfahrung, dass die Berührung von Fragen zu Leben und Tod zuverlässig ein Abspacen verhindert. Die Auseinandersetzung mit Utopien und ähnlich luftigen Ideen wirkt plötzlich künstlich und theoretisch und verliert jeglichen intellektuellen Reiz. Das hat Konsequenzen für diese Woche, wie soll ich nun meine Kehrwoche gestalten?


Mein aufgrund der Kehrwochenaufgabe gerade mit systemtheoretischem Filter arbeitender Verstand produziert dagegen eher morbide Fragen wie: bis zu welcher Schädigungsgrenze kann ein menschliches Gehirn noch als System betrachtet werden, ab wann ist die Komplexität so weit beeinträchtigt, dass es eher als triviale Maschine zu begreifen ist? Und hat dies Auswirkungen auf die Frage nach der Grenze zwischen Leben und Tod? Wenn ja, welche?


Aber ich will diese ganz normale familiäre Tragödie nicht in den Mittelpunkt meiner Ausführungen für diese Woche stellen. Bin allerdings selbst gespannt, was ich stattdessen schreiben werde.