Verharmlosung vs. Dramatisierung - Tertium non datur?

Die Flüchtlingsdebatte, vor allem die nach den Kölner Ereignissen von Silvester, lässt offenbar keine differenzierte Analyse zu, da jeder, der dies versucht ohne gleich großen Emotionen ihren Lauf zu lassen, entweder der Verharmlosung der Ereignisse oder der Dramatisierung bezichtigt wird (wohlgemerkt: für dieselben Äußerungen).


Ich persönlich, da mache ich keinen Hehl draus, würde, wenn wirklich nur zwei Optionen erlaubt wären (d.h. eine neutrale, nicht vor Bewertungen strotzende Position nicht gewählt werden könnte), immer für die Verharmlosung optieren. Und das aus rein handwerklichen Gründen, da wir es hier wie bei anderen Problemen immer mit selbsterfüllenden Prophezeiungen zu tun haben.


Um das Beispiel Köln zu wählen: Ich finde es zwar grausam für die betroffenen Frauen, aber - wie es heute in der FAZ (!) hieß - Busengrapschen gehört zur deutschen Leitkultur (in den Schritt fassen wohl weniger, denke ich). Womit ich kein Plädoyer für die deutsche Leitkultur halten wollte, um das deutlich zu sagen. Aber strafrechtlich sind, von der einen oder evtl. zwei Vergewaltigungen abgesehen, derartige sexuelle Übergriffe nicht so gravierend, dass deswegen jemand in ein Land, wo ihm der Tod droht, ausgewiesen werden dürfte. Verharmlosung?


Wenn man dagegen die 817 Brandstiftungen an Asylberwerberheimen betrachtet, so ist das strafrechtlich höchst relevant. Immerhin waren die zum Teil bewohnt, es wurde auf sie geschossen u.ä., was dem Tatbestand des versuchten Mordes entspricht. Und, nach den wenigen erfolgreichen Täterermittlungen (nach Köln ein weiteres Polizeiversagen) zu schließen, waren die Täter immer deutsche Männer. So ist der deutsche Mann nun mal. Sollten wir die alle ausweisen.Dramatisierung?


In einem Rechtsstaat sollte alle Täter idealerweise gefaßt, verurteilt und gegebenenfalls aus- bzw. eingewiesen werden (was ja auch eine Form der Ausgrenzung ist) - die Brandstifter von Asylantenheimen wie die Kölner Vergewaltiger, Busengrapscher und Schrittfasser, Handydiebe nicht zu vergessen.


Wo wir schon bei Pauschalisierungen sind: Schätzungsweise ein Drittel der Regensburger Domspatzen sind von ihren Betreuern sexuell oder durch körperliche Gewalt misshandelt worden, wie ein von der Kirche beauftragter Expertenbericht gestern festgestellt hat. So sind die Katholiken nun einmal. Zumindest die katholischen Männer, oder wenigstens die katholischen Männer im Kirchendienst. Alle ausweisen in den Vatikan?


Kinder, lasst uns zu den Techniken zurück kommen, die alle (wie ich hoffe) ernst zu nehmende systemische Therapeuten und Berater anwenden, d.h. lasst uns zwischen Beschreiben, Erklären und Bewerten unterscheiden. Es ist ja schon schwer genug, sich über die Beschreibung der Kölner Ereignisse zu einigen, aber nehmen wir mal an, es ließe sich eine Einigung darüber erreichen, dass dort Tausend muslimische Männer 150 oder 200 deutschen Mädels in den Schritt gefaßt haben und die Handys geklaut haben. Bei der Bewertung, dass dies nicht zu akzeptieren ist, lässt sich in dem Fall wahrscheinlich schnell eine Einigung erzielen. Heiß wird es, wenn wir um die angemessene Erklärung streiten. Die Auseinandersetzung scheint mir in der Hinsicht zu einem guten Teil ideologisch bestimmt (und die konstruierten Erklärungen werden ideologisch genutzt). Nüchterne sozialpsychologische/systemische Analysen und Hypothesenbildungen kommen m.E. zu kurz, obwohl sie wahrscheinlich aus pragmatischer Sicht am ehesten erlauben würden, nützliche Konsequenzen zu ziehen, die eine präventive Wirkung haben.