Verachtung

Beim Zappen durch die Fernsehkanäle habe ich einen kurzen Werbespot in Sat1 erwischt, der auf die neu aufgelegte Sendung "Deutschland sucht den Superstar" hinwies. Es schockiert mich immer wieder, ich kann es nicht fassen, es macht mich sprachlos: Verachtung pur, Entwürdigung, Beschämung und Bloßstellung werden ohne Wimpernzucken an den Tag gelegt. Kein Zögern, kein noch so kurzer Moment der Irritation trübt die zur Schau gestellte Bosheit. Aber lautes Lachen, das stellt sich sofort ein. Als sei alles nur Spaß, aber eben von der bitterernsten Sorte.


Was heißt das für unser Zusammenleben in diesem Land? In dieser Zeit? Junge Menschen setzen sich diesen Erfahrungen der Beschämung aus, lassen sich demütigen und reden es sich schön. Andere schauen es an und lernen, dass man sich so verhalten kann und alle es gut finden.


In dem wunderbaren letzten Buch von Klaus Grawe ("Neuropsychotherapie") kann man auf vielen Seiten akribisch nachlesen, welche Verbindungslinien von psychischen Erfahrungen zu neurophysiologischen Prozessen und umgekehrt zu ziehen sind, wie eine Verletzung von Grundbedürfnissen, insbesondere denen nach Orientierung und Kontrolle und nach Selbstwerterhöhung und Selbstwertschutz, zu psychischen Problemen und seelischen Schmerzen führen kann.


In diesen öffentlichen Verachtungsritualen werden genau diese Bedürfnisse nachhaltig geschädigt. Was wird da angerichtet? Es verwundert doch überhaupt nicht mehr, dass Entwürdigung als Handlungsziel und ein rapider Verlust an Empathie in weiten Bevölkerungskreisen zu Leitlinien des eigenen Handelns geworden sind: Gelernt ist eben gelernt! Und je jünger das Hänschen, desto besser - das wissen wir doch alle.


Ich würde gerne mal untersuchen, ob - und wenn ja, wie - Verachtung allmählich salonfähig wird. Ob sich Tabugrenzen verändern/verändert haben, wie die sozialen Skripts für dieses Gefühl genau aussehen, was Verachtung hemmen kann.


Wer hätte denn Lust mitzumachen? Wäre das nicht mal ein spannendes, intersdisziplinäres Thema?

Übrigens: Psychotherapeuten sind nicht vor diesem Gefühl gefeit: In Studien von Rainer Krause und Jörg Merten aus Saarbrücken zeigte sich, dass Verachtung ein in den Mimiken von Psychotherapeuten nicht selten auftauchendes Gefühl ist!