Utopie lieber Jetzt

Lieber Herr Todesco,


Sie schreiben, dass Sie gern in einer Welt leben würden, in welcher Sie viele Texte gemäss Rosenberg lesen könnten. Die Welt, wie sie ist, scheint Ihnen nicht so fühlend und wissend zu sein, wie Sie es selbst schon sind und Sie wünschen sich deshalb Besserung von den anderen. Aus meiner Sicht gibt es viel mehr Grund für Dankbarkeit als für Besserungswünsche.


Ich glaube, dass Sie in einer mehr und mehr von sich wissenden Welt, die so ist, wie sie (geworden) ist, schon leben, und weiters, dass Sie in diesem Forum viele Texte lesen können, die sich "in der Nähe von Rosenberg" oder "gemäss Rosenberg" lesen lassen.


Gewaltfrei.

Es geht ja um gewaltfreie Kommunikation.

Oder doch nicht gewaltfrei genug? Das scheint mir hier die indirekte Frage.


Wenn Ihre Richtigstellungen zwischen den Zeilen, (wo ich zu lesen verstehe), mir manchmal Voreingenommenheit, Belehrung, Ungeduld und Missfallen auszudrücken scheinen, könnte Ihr formalisiertes Richtigstellen möglicherweise daran liegen, dass Sie, als Person, das GEFÜHL haben, nicht ADÄQUAT verstanden worden zu sein - UND DASS DENNOCH ADÄQUAT ANGESCHLOSSEN WURDE? Und die Kommunikation geklappt hat?


Auf einer noch dazu systemtheoretischen Seite, sollte nach Ihren Worten, das Anschließen immerhin wahnfrei funktionieren. Dass es vielleicht nicht immer ganz nach Ihrem Wunsch/Wahn funktioniert, liegt aber, so glaube ich, nicht daran, dass hier gewalttätig provozierend attackierend diagnostizierend kommuniziert wird, außer von Herrn Liebscht ab und zu, was übrigens für mich dann eine Herausforderung ist, streitlustigen Impulsen nicht zu folgen und es zu ignorieren.


Die Formulierungen Ihrer Antworten und Ihr gründlicher Gebrauch der Worte, um das vorweg zu nehmen, hören sich für mich meistens überzeugend an.


Oftmals jedoch durchaus auch spitzfindig, haarspalterisch und Schwindel erregend. Sie machen mich sprachlos. Mein Bedürfnis nach Kommunikation, das ich hier in bestimmter Hinsicht erleben will, wird so nicht erfüllt.


Kommunikation ist für mich ein Austausch zur Annäherung von Standpunkten und nicht eine Kaskade von solus ipse-förmigen „Ich-Botschaften“


Wenn die Kommunikation (oder die Belehrung) nicht zu gelingen scheint, sondern Widerspruch erzeugt, woran liegt das? Dass der Anschluss besonders gut gelungen ist?


Um wie Gandhi zu werden bedarf es großer Demut und sogar Gandhi wurde widersprochen (mit der Baghavad Gita!).


Ich denke, dass gewaltfreie Kommunikation sich nicht vor dem Widerspruch (der KEINE Gewalt ist) schützen kann, indem sie mich zu benebeln, zu dämpfen und an der Nase herumzuführen sucht, wie Dideldei und Dideldum Alice im Wunderland. Die zwei, die un(be)greifbar unvermutet immer wo ganz anders auftauchen und dann so etwas Ähnliches wie „ Ätsch“ schreien.


Ich fühle mich von der von Ihnen angewandten Technik Ihrer Erklärungen manchmal wie Im-Kreis-herum–geführt. Das erzeugt ein Gefühl der Fliehkraft. Werde ich als Gegenüber diese Nicht-Kommuniktion des inhaltsleeren Im-Kreis-herum-geführt-Werdens denn überleben? Soll ich „gewaltfrei“ abgestoßen und als Person von meiner Geschichte getrennt werden, um des neutralen Dastehens der anderen Geschichte willen?


Ihre ein bissel echolalierenden Retourkutschen und seltsam ausweichenden Schleifen vermitteln mir, dass ich von Ihnen als Angreifer gesehen werde, den Sie nun gern in die Leere führen wollen. Sie erzeugen dann bei mir den Eindruck des aufzwingenden Besserns und nicht des überzeugenden Arguments.


Tun Sie meinem gelebten Traum, tut Ihre Methode meinen persönlichen Erklärungen von Utopie, nicht vielleicht irgendwie doch auch ein kleines bisschen Gewalt an, ohne es sich anmerken zu lassen, ja ohne dass Sie selbst es merken? Wohin denken Sie, werden Sie vielleicht sagen und mich eine weitere Runde im Kreis herumführen.


Was ist der bisherige Erfolg unserer Kommunikation für mich?


- Als Information habe ich hier, positiv *und* negativ, Ihre Anwendung einer Technik beziehungsweise einer Methode erfahren.


- Als Mitteilung kam herüber, dass Sie sich im Besitz des Utopieverständnisses schlechthin wähnen, ohne Argument wofür Utopie produktiv sein soll.


- Ich verstehe Sie, weil bei mir Anschlussfähigkeit dafür existiert, positives Formulieren, als Feedbackschleife der Aufmerksamkeit in die gewünschte Richtung zu kanalisieren.


Ich, für mich, betrachte Positivität jedoch ganz generell und umfassend, als meine subjektive Verantwortlichkeit das eigene Denken, Sprechen und Handeln im Hier und Jetzt produktiv auszudrücken.


Dass Sie Utopie positiv *denken* ist mir nun, im friedlichen Wettstreit der Kommunikation um einen optimalen Standpunkt zur Konstruktion von Welt, bei Ihren konstruktiven Ansprüchen, nicht „konkret“ genug.


Obwohl die sorgfältige Beobachtung des eigenen Denkens und Sprechens aus meiner Sicht der subjektiv verantwortende Moment schlechthin ist, den ich auf geistiger Ebene beitragen kann, bestehe ich bei Ihnen jetzt darauf, „mehr“ anzuführen. Auch wenn Utopie positiv (konkret) markiert wird und ich mir und der Welt Geschichten erzähle, heißt das eben nicht, dass deswegen die Geschichte der Lebenswelt (davon und von anderem) unmarkiert bleiben kann.


Deswegen interessiert mich nun nicht mehr so sehr, was Sie unter „rosenbergig“ verstehen, da Sie es, pardon, ja mal mehr, mal weniger perfekt, unübersehbar nachdrücklich vorführen, ohne dabei nach links oder rechts zu gucken. Mich interessiert metaphorisch gesprochen, welchen tatsächlichen Berg tragen Sie praktisch ab und versetzen ihn anderswohin - oder füllen einen Abgrund damit? Und wenn, dann welchen?


Ich wertschätze und respektiere jeden winzigsten „Berg“, sei es ein kleiner Mäuseschiss, Geschirrhaufen, Bücherhaufen, ein Misthaufen, oder ein Ameisenhaufen, den JEMAND, zum Wohle des Ganzen, von A nach B verlegt. Oder einen persönlichen oder gesellschaftlichen Beziehungs-Abgrund, den jemand mit anderen zusammen bis in den letzten Winkel ausleuchtet und ausräumt und dann, mittels abgetragenen Bergs, zuschüttet.


Also mit einem Wort ich wertschätze und respektiere das kleinste Item, das jemand zum Leben und Zusammenleben beiträgt


Ich trage zur Welt und zum Leben bei, indem ich die Paradoxie aushalte, auf der es gründet, indem ich selbst bestimmt (!) das tue, was meine Aufgabe ist. Letzteres herauszufinden ist meine Aufgabe schlechthin. So lebe ich meinen Traum. Die Welt verändert sich dabei von selbst, ohne dass ich, als Individuum, den geringsten Einfluss nehmen kann, WOHIN sie sich verändern wird. Herauszufinden und zu tun, was die persönliche Aufgabe ist, ist das, was einen zufriedenen, angstfreien und zugleich mitfühlenden Menschen ausmacht.


Mir erscheint es als Vermessenheit und als inverses Machtstreben die Verhältnisse nicht für akzeptabel zu halten. Mir erscheint es als Wahn, dass ich als Individuum, das an einem Platz steht, und NUR da, um EINE Aufgabe nach bestem Wissen und Gewissen zu erfüllen, gesellschaftliche Verhältnisse, die immer ein notwendiges Durchgangsstadium bezeichnen, für nicht akzeptabel zu halten


Ihre positive Utopie als Geschichte („wie ich es gern hätte“) erscheint mir je länger ich darüber nachdenke als vermessen insofern, als sie unterstellt, dass mein Wohlbefinden in der existierenden Welt nur aus der Unzufriedenheit mit den existierenden Verhältnissen heraus gespeist werden kann. Oder andersrum: Lebensberechtigung nur zu erleben in der Nichtakzeptanz dessen, was so gekommen ist.


Es erfordert Demut und Dankbarkeit vom jungen Mann, der beglückt auf dem Schiff durch die Weltmeere fährt, davon berührt zu sein, dass ihn andere rudern, dass er aber deswegen kein Verhältnis zu ihnen haben muss. Jeder hat seinen Platz im Leben, was kaum bestritten werden kann. Mitgefühl mit jedem, aber auch wirklich jedem Individuum (!), ist die Gefühlsform, die dem anderen die Würde seines Schicksals lässt.


Die Welt verändert sich ganz von selbst, wenn jeder tut, was er zu tun hat und genau damit seine Utopie lebt. Galeerensklaven gibt es nicht oder kaum mehr. Lohnarbeit unter geänderten Bedingungen, wird sich selbst aufheben, nach Maßgabe dessen, was dann möglich ist.


Weltuntergangsszenarien sind aus meiner Sicht Erlösungsmythen, die durchaus Realität werden, wenn die allgemeinen Gedanken darüber sich vermehren, zusammenschließen, rückkoppeln und sich so zunehmend zu Defätismus und zu Fakten verdichten.


Ich halte dagegen. Ich richte meine Gedanken schlicht NICHT darauf. Darin dürften sich unsere Standpunkte ähnlich sein. Das sehe ich als eine der Aufgaben innerhalb meiner Aufgabe. Ich sehe das als meine Position und als meine Verantwortung, aber ich kann und will nicht verhindern, dass andere es anders tun. In der Kommunikation mit anderen kann es jedoch sein, aus welch verschiedenen Blickwinkeln wir auch die Welt konstruieren mögen, dass sich Annäherungen hinsichtlich konzertierter Produktivität ergeben. Diese hervorzuheben, erscheint mir genauso wichtig, wie die notwendige Abgrenzung vom anderen!


Ich kann Ihrem Denken so gesehen durchaus und gern folgen, aber nicht Ihrer penetranten Gesprächstechnik, wenn es gar nicht mehr um die gründliche Abklärung des unterschiedlichen Gebrauchs von Worten geht, sondern um Ideologie, verdeckte Besserwisserei und verschleierte Rechthaberei, und in der Folge um Haarspalterei und Spitzfindigkeiten.


Herzliche Grüße