Utopie 4: Die Pharma-Liga

Floyd Landis ebenfalls gedopt?!? Die Tour de France in Gefahr?!? Die Medien wollen nicht mehr übertragen? Der Leistungssport in der Krise? Ich nehme mir die Freiheit, aus den aktuellen Schlagzeilen eine weitere Utopie, diesmal für das Sport- und Mediensystem, zu entwickeln.


Die strukturelle Kopplung zwischen Medien und Sport ist gut dokumentiert. Interessant aus Mediensicht sind neue Rekorde, Sieger und Verlierer, Triumphe und Tragödien - eben Nachrichtenwerte, Neuigkeiten. Welcher Art diese Neuigkeiten sind, ist offensichtlich zweitrangig. Auch eine Berichterstattung über skandalöse Dopingvorgänge sorgt für Schlagzeilen, Quoten und Zugriffszahlen, sofern diese selten genug sind. Werden sie zur Routine, bleibt allerdings kein Neuigkeitswert übrig. Das ist die eigentliche Katastrophe für die Medien.


Ausgehend von der These, dass die Grenze zwischen Erlaubtem und Unerlaubtem ein rein soziales Konstrukt ist, sieht die Utopie folgendermaßen aus: Es werden zwei Ligen im Sport gebildet, ähnlich der bereits gängigen Unterscheidung zwischen Amateuren und Profis: die "Bio-Liga" und die "Pharma-Liga".


In der Pharma-Liga ist alles erlaubt und sogar erwünscht, also jede nur denkbare Steigerung der körperlichen Leistungsfähigkeit, seien es chemische oder pharmazeutische Mittel oder künftig auch möglicherweise biomechanische Elemente o.ä. Der Neuigkeitswert für die Medien ergibt sich also größtenteils aus den Ergebnissen des Wettrüsten der verschiedenen Hersteller, Sportwetten und die Berichterstattung über kommende Wettkämpfe benötigen dann zusätzlich zu Sportfachleuten auch Börsenanalysten, die über laufende technologische Entwicklungen urteilen können (ein lohnender Nebenverdienst für diese unterbezahlte Berufsgruppe).


Ein noch ungelöstes Problem für die Sportler, die in dieser Pharma-Liga arbeiten, ist das erhöhte gesundheitliche Risiko. Dieses Risiko beinhaltet einen zusätzlichen Informationswert, sorgt also für zusätzliche Einnahmen und damit für entsprechend hohe Entlohnung, wäre also eigentlich funktional für das Mediensystem. Aus humanistischen Gründen erscheint dies dennoch fragwürdig (damit bin ich hoffentlich politisch korrekt genug).


Die Bio-Liga ist die andere Seite der Medaille, die "reine" Seite des Sports. Die Leistungen sind natürlich geringer als auf der Pharmaseite, aber das sind in vielen Sportarten die Werte von Frauen gegenüber Männern auch, ohne dass es der Spannung oder dem öffentlichen Interesse Abbruch tut. Es wäre wohl zuviel verlangt, dass das Doping bereits durch diese Unterscheidung seinen Reiz verlieren würde und nicht mehr vorkommt. Aber wer erwischt wird, der wird einfach in die Pharma-Liga abgeschoben, was wenig attraktiv ist, da die Konkurrenten dort sehr wahrscheinlich noch hochgerüsteter sind.


Je häufiger dieser Wechsel vorkommt, umso uninteressanter wird er, und umso heller strahlen die noch übrig gebliebenen, testosteronarmen Bio-Helden. Oder möglicherweise entwickelt sich auch ein reger Wechsel zwischen den Ligen, wiederum ein Quell höchst interessanter Neuigkeitswerte für das Mediensystem.


Soweit diese eher spontane Vision. Zum Abschluss: Derzeit wird ernsthaft überlegt die Bundesliga in T-com-Liga umzubenennen. Vor diesem Hintergrund erscheinen die beschriebenen Entwicklungen nicht als reine Science Ficition, sondern lediglich als kontingent.