Utopie 3: Der Diplom-Politiker

Nach traditionellem westeuropäischen Verständnis kommen die Volksvertreter idealerweise auch mitten aus dem Volk. Engagierte Menschen aller Fachrichtungen, Schichten und Gruppierungen lassen ihre "normale" Berufstätigkeit für eine bestimmte Zeit (n Legislaturperioden) ruhen und kümmern sich stattdessen um das Gemeinwohl. Danach gehen sie wieder dahin zurück, woher sie gekommen sind und nehmen ihre vorige Karriere wieder auf.


Die Realität sieht inzwischen völlig anders aus, auch für Politiker ist eine starke Tendenz zur Professionsbildung festzustellen. Praktisch alle wichtigen Positionen in Exekutive und Legislative sowie in den Parteien sind inzwischen mit Berufspolitikern besetzt, die sich auf diese Aufgabe spezialisiert haben - nach Weizsäcker "Generalisten mit dem Spezialwissen zur Bekämpfung des politischen Gegners". Der Wettbewerbsdruck im politischen Feld ist anscheinend hoch genug, um diese Profilbildung zu erzwingen, wie zuletzt auch die Grünen feststellen mussten. Ein weiterer Schritt zur Ausdifferenzierung.


Genau wie für Unternehmer gilt jedoch, dass die Professionsbildung noch nicht zum Abschluss gekommen ist: der wichtige Baustein eines berufsqualifizierenden Abschlusses fehlt noch. Derzeit gibt es meines Wissens im deutschen Sprachraum noch keine Möglichkeit, sich gezielt auf eine Karriere als Berufspolitiker vorzubereiten, keine Hochschule bietet ein Diplom (künftig natürlich Bachelor bzw. Master) in angewandter Politikwirtschaft o.ä., auch die parteinahen Stiftungen und Weiterbildungseinrichtungen nicht. Dies hängt möglicherweise damit zusammen, dass Parteien sehr starke Führungspersönlichkeiten fast noch mehr fürchten als schwache (brand eins schrieb vor einigen Ausgaben einen schönen Artikel dazu).


Drei Fragen ergeben sich aus dieser Perspektive:


1. Ist von Diplom-Politikern eine höhere Leistung, eine höhere Qualität im und für das Politikbusiness zu erwarten? Das hängt wohl vor allem davon ab, welche Personen sich von einer solchen Karriere angezogen fühlen. Eine Verschlechterung gegenüber der momentanen Situation ist allerdings kaum vorstellbar: "Das Parlament ist mal voller, mal leerer, aber immer voller Lehrer" (Schäuble). Nichts gegen Lehrer (schließlich bin ich inzwischen selbst einer), aber erkennbar werden Ressourcen fehlallokiert, wenn sich die Volksvertreter inzwischen fast zur Gänze aus Lehrern, Beamten und Juristen mit schlechtgehenden Praxen rekrutieren, d.h. aus Personen, die zwar die Motivation, nicht aber zwingend auch die Qualifikation für diese Tätigkeit mitbringen.

2. Hätten Diplom-Politiker einen Wettbewerbsvorteil gegenüber ihren anders qualifizierten Kollegen und Konkurrenten um das politische Amt? Denn nur in diesem Fall setzt sich eine Institutionalisierung der Ausbildung auch durch. Vielleicht ist folgendes Szenario realistisch:

* Der erste Jahrgang eines Studiums in angewandter Politik erhält sein Abschlusszeugnis. Alle Absolventen werden mit üppigen Einstiegsgehältern sofort von großen Unternehmen, potenten Verbänden, Lobbygruppen etc. angeworben, um die Einflussnahme auf die Politik zu verstärken. Nur wenige wirklich idealistische bzw. extrem machtbewusste Absolventen gehen tatsächlich in die Parteien.

* Dieses Spiel wiederholt sich solange, bis eine gewisse Sättigung erreicht ist. Inzwischen sind die Profis auf der Lobbyseite etwas frustriert darüber, dass sie auf der anderen Seite des Verhandlungstisches immer nur mit Amateuren zu tun haben.

* Als Endbild im eingeschwungenen Zustand sind die Spezialisten unter sich - da kann man einfach am besten kommunizieren.

3. Führt dies nicht zu einer Verstärkung der bereits heute deutlich zu beobachtenden Tendenz zur Abkopplung von der Realität bzw. von den zu Menschen, die politisch geführt werden? In erster Näherung vermutlich ja. Aber auch hier könnte eine spezialisierte Ausbildung die Betreffenden wenigstens auf diese Entwicklung vorbereiten und vielleicht professionelle Möglichkeiten lehren, damit konstruktiv umzugehen. Der Spiegel brachte direkt nach der letzten Wahl einen schönen Artikel über den Tagesablauf eines Bundeskanzlers/-kanzlerin. Darin wurde die politische Maschinerie als unerbittliche Mechanik beschrieben, in welche sich die Protagonisten nur eingliedern können, unabhängig von ihrer formalen Machtfülle. Wenn eine gezielte Vorbereitung auf diese Herausforderung dazu beiträgt, persönliche Freiheitsgrade und Entscheidungsspielräume zu wahren, dann hätte sie sich wohl bereits gelohnt.


Zum Abschluss noch einen Blick auf das Curriculum einer Politikerschmiede. Folgende Fächer dürfen in keinem Fall fehlen:


* Wahlkampf-Management

* Professionelles Contacting und Networking

* Geschenke und angewandte Korruption

* Fundraising und Parteifinanzierung

* Rechtliche Regelungen zur Parteispende

* Rhetorik 1 - 12

* Internationale Etikette


Der Höhepunkt stellt dann die Abschlussprüfung dar: alle Absolventen nehmen an einer bundesweit ausgestrahlten Casting-Show mit dem Titel "Deutschland wählt den Super-Kanzler" teil. Die früh abgewählten gehen direkt in die Ministerialbürokratie oder zu den Verbänden, die telegenen Spitzenreiter können sich über nachgewiesene Chancen in späteren Wahlkämpfen freuen...