Utopie 2: Der Diplom-Unternehmer

Der heutige Beitrag liegt ein wenig näher an der Realität als der letzte. Es geht um die Frage, die mich bei der Leitung des Studiengangs "MBA in Unternehmensentwicklung" an der Hochschule Pforzheim permanent begleitet: Wie qualifiziert man Unternehmer, in diesem Fall junge Nachfolger in Familienunternehmen für ihre berufliche Praxis? Oder pointierter ausgedrückt: Kann man Unternehmertum lernen? Und falls ja, dann in den Standardformaten (Bücher, Vorlesungen, Seminare) oder wie sonst?


Ausgangspunkt ist die Studie eines Kollegen, der kürzlich folgende statistischen Ergebnisse aus Mikrozensus-Daten ermittelte:


Anteil von Akademikern in ausgewählten Berufsgruppen:


* Ärzte: 90%

* Rechtsanwälte: 89%

* Ingenieure: 77%

* Unternehmensberater: 59%

* Wirtschaftsprüfer: 51%

* Selbständige mit Beschäftigten: 26%

* Selbständige ohne Beschäftigte: 24%


Auch wenn man in Rechnung stellt, dass hier viele Handwerker, Kleinstunternehmer und Freiberufler mit erfasst sind, so muss man doch ein erstaunliches Gefälle an formaler Qualifikation konstatieren. Gerade die Unternehmer, traditionell das Grundgestein unseres Wirtschaftssystems und aktuell die Frontkämpfer der Globalisierung und mithin eine Berufsgruppe mit extrem hohen Leistungs- und Qualitätsanforderungen, weisen einen deutlichen Rückstand gegenüber anderen Verantwortungsträgern auf.


Diese Situation spiegelt sich vielfach im gesamten Erziehungs- und Bildungssystem. Unternehmertum gehört nur sehr am Rande zum Bildungskanon der Schulen, Wirtschaftsgymnasien etc. einmal ausgenommen. Auch die Hochschulen tragen wenig bei. Es gibt zwar inzwischen ca. 50 Lehrstühle für Entrepreneurship in Deutschland, aber die Standardausbildung im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich ist nach wie vor ausgerichtet auf die Erzeugung von später angestellten Fach- und Führungskräften für Großunternehmen. Nur eine Handvoll Hochschulen und private Anbieter beschäftigen sich überhaupt mit der gezielten Qualifikation von selbständigen Unternehmern, anscheinend kein sehr interessanter Markt.


Für diese Situation bieten sich zwei Erklärungen an. Entweder ist die Professionsbildung (Oevermann) für Unternehmer noch nicht abgeschlossen. Dann ist zu erwarten, dass sich irgendwann in der Zukunft sämtliche Kennzeichen einer Profession herausbilden. Neben der Bildung von Berufsorganisationen sind dies vor allem spezialisierte Ausbildungsgänge mit staatlichen Abschlüssen als Voraussetzung zur Ausübung des Berufes - der "Diplom-Unternehmer" eben. In der Praxis wäre also z.B. die Erteilung eines Gewerbescheins gekoppelt an die Vorlage eines entsprechenden Bildungsabschlusses.


Oder aber der Beruf des Unternehmers entzieht sich einer herkömmlichen Ausbildung. "Unternehmertum kann man nicht lernen, das liegt im Blut!", diese These wird gerne von den Unternehmern selbst vertreten. Dann wären alle Bemühungen dazu von vorne herein vergebens.


Ein Blick auf eine andere potenzielle Profession hilft hier vielleicht weiter. Unsere Gesellschaft kennt momentan auch noch keine "Diplom-Eltern", die Produktion und Aufzucht von Kindern liegt nach wie vor völlig in der Hand von Amateuren. Dieser Zustand wurde zwar aus dem pädagogischen Lager immer wieder bemängelt, eine allgemeine Nachwuchs-Reifeprüfung hat sich aber nicht durchgesetzt. Hier ist die Kontingenz jedoch m.E. offensichtlich: es ginge auch anders. Wenn ein Land wie China die Ein-Kind-Ehe durchsetzen kann, dann wäre auch eine entsprechende Prüfung als Voraussetzung durchsetz- oder zumindest denkbar. Diese Perspektive entspricht auch der gängigen Soziologie: Alle menschlichen Verhaltensweisen und deren Artefakte werden als soziale Phänomen betrachtet, also als gestaltbar.


Wenn wir also als Zwischenergebnis festhalten, dass eine Professionsbildung auch für Unternehmer durchaus im Bereich des Möglichen liegt, dann stellt sich die Frage nach der Funktionalität und den Bedingungen einer solchen. Dazu aber erst morgen mehr.