US-Gesundheitsreform

In den frühen Morgenstunden des 24.12. 09 hat der US-Senat mit 60 Stimmen Mehrheit einen Entwurf zur Gesundheitsreform verabschiedet. Das Repräsentantenhaus hatte bereits Ende November einem eigenen Entwurf zugestimmt. Jetzt müssen beide Versionen noch zur Übereinstimmung gebracht werden, dann ist gelungen, was seit zig Jahren vergeblich versucht wurde und woran u.a. auch die Regierung Clinton gescheitert war: eine Reform der Krankenversicherung in den USA.


Da ich im Sommer viel über die erhitzte Debatte in den USA geschrieben habe, scheint mir dies hier des Kommentars wert. Dass es dieses mal gelungen ist, ein Gesetz zu verabschieden (die Verschmelzung der beiden Entwürfe steht zwar noch aus, daran sollte das Ganze aber nicht mehr scheitern), scheint mir aus systemischer Sicht der Analyse wert. Dieser Erfolg ist m.E. einer speziellen Taktik von Obama zu verdanken, die ihm viel Kritik eingebracht hat von all denen, die etwas schlichtere Führungskonzepte vertreten. Wäre er ihnen gefolgt, so hätte er sein Projekt abschreiben können.


Was er getan hat, ist folgendes: Er hat - relativ inhaltsoffen - sein Ziel definiert: ein neues Gesetz, das möglichst vielen der bislang Nicht-Versicherten US-Bürgern einen Versicherungsschutz bietet; das nicht mehr erlaubt, wegen Vorerkrankung irgendwen auszuschließen; das die Kosten langfristig dämpft (etc.). Was er nicht gemacht hat, ist zu sagen, wie er diese Ziele erreicht sehen möchte.


Was nun begann, waren nicht nur ein ungeheurere Lobby-Aktivitäten und ein emotionalisierter Kampf der Republikaner gegen ihn (Hitlervergleiche usw.), weil sie so diese Regierung gleich von Anfang an mit ihrem wichtigsten Projekt ins Leere laufen lassen wollten, sondern auch innerhalb der Demokratischen Partei kam es zum Kampf der Fraktionen. Der Ruf nach "mehr Führung" wurde laut, d.h. Obama solle doch gefälligst sagen, wo es lang geht und wie er sich diese Reform genau vorstelle. Doch diesem Ruf folgte er nicht, sondern er bleib bei seinen allgemeinen Zieldefinitionen.


Folge war, dass sich schließlich die Fraktionen innerhalb der Demokratischen Partei zusammenrauften und die Gesetze durch das Parlament brachten (nur sie können das, denn es geht um ihre Stimmen).


Erklärung: Der inhaltliche Konflikt über den Weg zu dem von Obama vorgegebenen, von allen akzeptierten, weil vagen, Ziel blieb auf einer Ebene, in der die Beteiligten (Repräsentanten einerseits, Senatoren andererseits) jeweils eine symmetrische Beziehung zueinander haben. So konnte erfolgreicher Kuhhandel stattfinden, weil es nicht um prinzipielle Machtfragen ging. Das wäre aber, wie beim Versuch Clintons, der Fall gewesen, wenn Obama sich für einen bestimmten Weg zu diesem Ziel öffentlich eingesetzt hätte. Dann hätte er die asymmetrische Beziehung zwischen ihm und den einzelnen Abgeordneten mit bestimmten Inhalten kontaminiert und die prinzipielle Frage, wer denn die - formale und faktische - Macht hat, hätte sich gestellt. Jeder Kompromiss auf der inhaltlichen Ebene wäre zur Niederlage des Präsidenten gegenüber dem Parlament geworden, was langfristig die Position des Präsidenten geschwächt hätte.


So aber kann der Präsident das Gesetz als seinen Erfolg verkaufen - und das zu Recht. Denn er hat gehandelt durch Nicht-Handeln. Beste systemische Praxis (wu wei).


Wahrscheinlich ist mit ihm doch noch in Fragen wie Klimawandel, Afghanistan etc. zu rechnen...