Und wo bleibt das Negative, K....?

Heute morgen ist schon die zweite e-mail angekommen, die sich auf meine Kehrwoche bezieht und die sich in der Frage zusammenfassen lässt: Und wo bleibt das Negative, K..? (entschuldigen Sie, Herr Kästner, dass ich durch diese Assoziation eine Verbindung zu Ihnen herstelle, soll nicht wieder vorkommen!) Also der Tenor der e-mails:

‚Überall gerät die Welt aus den Fugen: Kriege, Bombenterror, Korruption in Politik, Sport und Wirtschaft, Klimaveränderungen .... und Sie schwadronieren über Fernbedienung, Hüpf-und andere Sport – Events, vom unverbindlichen Gerede über das Wetter einmal ganz zu schweigen. Ist das die Folge dieser unsäglichen Lösungsorientierung, der Sie ja offensichtlich auch anhängen.’ Eigentlich wollte ich ja heute etwas anderes, nämlich über missglückte Metaphern im Therapieprozess, schreiben (pardon: schwadronieren), aber vielleicht geht’s auch so. Gestatten Sie, liebe Kolleginnen, dass ich die Antwort ins weblog stelle, ich gehe mal davon aus, dass sie –wegen der privaten e-mail- anonym bleiben wollen.


Zunächst zur Lösungsorientierung: da halte ich es vor allem mit Goethe und seinem berühmtesten Zitat aus dem Götz von Berlichingen, das ich allerdings – lösungs- oder besser ressourcen-orientiert - etwas abgewandelt habe: „Wo viel Schatten ist, da ist auch starkes Licht“ (Aufatmen bei Tante Klara). Was ich möchte, hier und auch heute im weblog, ist doch, mich meiner selbst zu vergewissern (s.o. – „ich assoziiere, also bin ich“ ). Und so wie Selbsthypnose praktiziert wird, übe ich mich in Selbst-Verstörung, um mit dem tagtäglichen Wahn- und Schwach-Sinn besser umgehen zu können, und das heißt für mich: handlungsfähig zu bleiben (oder zu werden). All das sind Versuche für mich (!), das „Licht am Ende des Tunnels ...“ bzw. „die Kerze in der Dunkelheit ....“- ich glaube das reicht jetzt, weil, zum einen, wie wir Sonderpädagogen sagen: „Nicht alles , was hinkt, auch ein Vergleich ist“ und zum anderen möchte ich mit meinen Lichtlein, die ja bekanntlich immer von irgendwo her kommen, nicht in den Verdacht geraten, „Aufklärung für Blogger“ zu betreiben.


Ich habe ja anfangs erwähnt, dass mir Kollegen „Heine für Gestresste“ geschenkt haben und da schreibt er am 5. 10. 1854 an Joseph Lehmann, (nicht an Joseph „K.“ Lehmann): „Manchen glaube ich lebend, der längst todt ist, und manchen glaube ich todt, der unterdessen bloß dumm geworden oder schlecht.“ Zu den ersteren zähle ich einen Dichter der Neuen Frankfurter Schule, Robert Gernhardt, der von einigen mit Heine verglichen wird und auf den ich gleich zu sprechen kommen möchte, und zu den anderen zähle ich – ich will mich vorsichtig ausdrücken- eine Geisteshaltung eines anderen Berufsstandes, die ich längst für todt hielt, die jedoch .. (s.o.) und die ich an einem Vertreter dieses Standes deutlich machen muss. Der eine ist also mausetot und der andere ist mauselebendig, d. h. so mause- bzw. feldmausegrau, dass seine Aussage völlig unaufgeregt und unkommentiert in der hiesigen Tageszeitung abgedruckt wird. Ich nenne auch hier mal die Namen, obwohl ich sie nur als Stellvertreter ihres jeweiligen Berufsstandes (nicht einmal als typische) und der ihrem Berufsstand zugrunde liegenden Sensibilität nennen möchte.


Die eine ist Sonja Schünemann, die ist Journalistin und hat den Bericht verfasst und der andere ist einer der deutschen Soldaten, die im Kongo die Wahlen überwachen sollen. „Den ersten schlimmen Moment des Einsatzes haben die deutschen Kongo-Soldaten bereits hinter sich. Sie mussten sich von ihren Familien verabschieden.“ So der O-Ton Schünemann. Aber es kann bekanntlich immer schlimmer kommen. Und „auch für den schlimmsten Fall seien sie vorbereitet. Vor allem das Thema Kindersoldaten bereite Sorge. „Gerade wenn man selbst ein Kind hat, ist das krass“, meint einer. So krass wohl auch wieder nicht, weil : „In Vorbereitungskursen haben die Soldaten sich mit dem Problem beschäftigt.“ Und was haben die Soldaten aus diesen Kursen mitgenommen? „Ein Kind ist nicht einfach ein Kind, weil es klein ist, sondern weil es eine kindliche Seele hat,“ sagt Oberstleutnant Marko Gangi. Und diese Kinder hätten keine kindliche Seele mehr. „Wenn so eins auf mich schießt, dann wehre ich mich. Sonst haben meine Kinder keinen Vater mehr.“ Und hier haben wir ihn, liebe mail-Schreiberinnen, den lösungsorientierten Vorbereitungskurs, - wie die hiesigen kids sagen würden: “Echt voll krass.“ Die Überschrift zu diesem Text lautet „Kindersoldaten sind ein Thema“. Aber nach der Lektüre möchte ich –und da weiß ich mich in Übereinstimmung mit vielen Zeitungslesern - meinen Optiker und andere Geschäftsleute zitieren, der gerne zu meinen Sonderwünschen sagt: „Kein Thema, Herr Holtz.“ Denn wenn es ums Geschäft geht, haben wir die schlimmsten Momente schon hinter uns. Deutschland schickt sich an, auch im Waffenexport in der Spitze aufzuschließen, ob Kongo weiß ich nun nicht, aber wer weiß das schon. Was waren das noch für Zeiten – die Lektüre meiner Kindheit -, als es noch die guten alten „Seelenverkäufer“ gab. Das wäre doch heutzutage ein Markt für die Dritte Welt und die zahlreichen Krisengebiete. Für Menschen beispielsweise im Libanon, die nichts als Bürgerkrieg gesehen haben und für deren Nachwuchs, dem jetzt ein ähnliches Schicksal droht. Für die Straßenkinder, beispielsweise in Kiew, die ums Überleben kämpfen und hoffen, dass ihre älteren Schwestern, wenn sie denn nach der Fußballweltmeisterschaft aus der Zwangsprostitution entlassen werden, wenn schon keine kindliche Seele, -die haben sie ja auch nicht mehr-, so doch ein paar Euro mitbringen können.


Aber ach, ich glaube mich zu erinnern, die „Seelenverkäufer“ waren nicht für kindliche Seelen zuständig. Und so bleibt das ganze Geschäft mit der kindlichen Seele wieder den Menschen überlassen, die aus eigener Verstörung heraus – und das ist Aspekt meiner Assoziationen- aktiv werden und Projekte unterstützen: Amnesty International betreut Therapiemodelle mit Kindersoldaten im Mozambique, Gunthard Weber unterstützt ein Schulprojekt in Mali und wir planen ein Straßenkinderprojekt in Kiew. Doch warum in die Ferne schweifen: Wir haben ja vor lauter Fähnchenschwenken gar nicht mitbekommen, was es in den letzten Wochen alles für Reformen gegeben hat und der neue Armutsbericht gibt schon einige Hinweise darauf, was mit kindlichen Seelen demnächst bei uns passiert. Ich kann nur den Soldaten der Einsatztruppe zitieren: Krass!


Eigentlich hatte ich ja gestern Abend vor, heute etwas über Metaphern zu schreiben, d.h. eigentlich über den Unsinn, im therapeutischen Kontext jedes Bild, jede Geschichte und jeden Vergleich mit diesem Begriff zu belegen. Das kann ich auch andernorts und eigentlich hatte ich noch vor, an den Heine-Nachfahren Robert Gernhardt zu erinnern. Aber da ja, wie Tante Klara zu sagen pflegt, bekanntlich alles mit allem zusammenhängt, versuchen wir einmal beides (kurz) miteinander verbinden.

Also, wo bleibt das Negative, Herr Gernhardt ? Seine letzten K-Gedichte und die jetzt erschienenen Gedichte “Später Spagat“ lese ich als Versuch, in all den Mühsalen eines langen Abschieds „Standbein“ und „Spielbein“ menschlicher Existenz, Schatten und Licht, zu würdigen um so zu seiner Art Selbstvergewisserung zu gelangen:


Ich bin nicht der, der ich mal war.

Das wird mir täglich schmerzhaft klar.

Doch dass ich weiß, wer ich mal war,

verdank ich dem, der ich heut bin:

Die Zeit macht dich nicht nur zur Sau,

sie macht auch schlau,

macht sogar Sinn.


Gernhardt, der keinem Kalauer und keiner verunglückten Metapher aus dem Weg ging, schaffte es, auf seiner eigenen Trauerfeier (als dort seine letzten Gedichte zitiert wurden) die Gäste zum schallenden Lachen zu bringen. Und da, wo er vermutlich Heinrich Heine trifft, wird er sich auch gleich wieder richtig einführen, hatte er doch vor Jahren schon gedichtet:

Lieber Gott, nimm es hin,

dass ich was Besondres bin.

Preise künftig meinen Namen,

denn sonst setzt es etwas. Amen!


Vielleicht wär’s ihm ja auch recht, wenn wir ihn preisen würden, was ich hiermit tun möchte.


Was hat das nun alles mit Metaphern zu tun, würde an dieser Stelle bekanntlich meine Kollegin Angela fragen? Nun, in seinen Memoiren, berichtet er, wie alles mit der Neuen Frankfurter Schule anfing, als sich das damalige Team Gernhardt/Bernstein/Waechter zusammensetzte, „ wenn die Geräusche der Straße leiser und die Stimmen der Wirte lauter werden“, und ihr großes literarisches Vorbild war ein Schild, das in Schönschrift auf einem Jahrmarkt zum Besuch einer Schiffschaukel einlud:


„Wie ein Pfeil fliegt man daher, als ob man selber einer wär.“


Dieses gewaltige Bild hat auch mich stets begleitet, wenn es darum ging, in therapeutischen Kontexten Vergleiche und Metaphern zu bemühen. Häufig lag ich fürchterlich daneben, aber da wusste ich mich mit vielen Kollegen in guter Gesellschaft. Und für all diejenigen – und auch für mich zum Trost für meine heutigen Assoziationen – daher eines meiner Lieblingsgedichte Gernhardts:


Das Gleichnis:


Wie, wenn da einer - und er hielte


ein frühgereiftes Kind, das schielte


hoch in den Himmel und er bäte:


"Du hörst jetzt auf den Namen Käthe" -


Wär dieser nicht dem Elch vergleichbar,


der tief im Sumpf und unerreichbar


nach Wurzeln, Halmen, Stauden sucht


und dabei stumm den Tag verflucht,


an dem er dieser Erde Licht ...


Nein, nicht vergleichbar? Na dann nicht.