Übergang

Es wird schon langsam hell. Ich komme von Grossbasel her, sehe vor mir die Mittlere Brücke. Sie ist wirklich in der Mitte der Stadt und schon früh am Morgen sehr belebt. Sie verbindet Grossbasel mit Kleinbasel, zwei verschiedene Welten. Grossbasel mit all den Geschäften und meist gepflegten Wohnhäusern und Kleinbasel mit all der Farbigkeit, den kleinen Geschäften und Ständen, Leuten aus allen Kulturen. Ich komme zur **Brücke**, schaue nach dem Wasserstand, heute recht hoch, das Wasser hat einen starken Zug, unten durch fährt gerade das Rheintaxi und von flussaufwärts her sehe ich ein Lastschiff kommen. Ich habe hier fast ein wenig das Gefühl von einer Verbindung mit der weiten Welt. Dann erreiche ich die andere Seite, spüre diese andere Welt, auf der Strasse, vor unseren Räumlichkeiten, neben dem „schiefen Egg“ noch einige Nachtschwärmer.


Heute früh um halb acht ist die knapp 18 jährige Lea eingeschrieben. Nach einer Rückenoperation und anschliessender Rehabilitation konnte sie während mehr als einem Jahr den Schulunterricht nicht besuchen. Ihre Eltern machen sich grosse Sorgen, wie sie den **Übergang von der Schulzeit zum Arbeitsleben** mit der Lehre schafft. Die Schulzeit vor ihrer Krankheit ist recht gut verlaufen. Schulisch hat sie zwar die Lücken gut aufgeholt. Sie hat auch die Kontakte zu Gleichaltrigen gut aufrecht erhalten. Sie hat aber zu ihrem Alltagsleben ein wenig den Faden verloren. Einerseits musste sie über eine lange Zeit geschont werden, andererseits hat sie auch die Regelmässigkeiten einer Tagesstruktur verloren. Jetzt arbeitet sie als Praktikantin in einer Kinderkrippe. Sie ist begeistert von der Arbeit. Wenn sie von den Kindern und den Mitarbeiterinnen erzählt, leuchten ihre Augen. Sie hat grosse Mühe, pünktlich zu erscheinen, Anweisungen anzunehmen und sorgfältig auszuführen. Es besteht die Gefahr, dass sie die mit grossem Einsatz gefundene Praktikumsstelle verliert. Sie erscheint heute nicht. Auf Nachfrage sagt mir die Mutter, dass es sehr schwierig gewesen sei, Lea aus dem Bett und auf ihren Arbeitsweg zu bekommen. Die Familie hat schon vieles probiert: einen eigenen Wecker stellen, das Frühstück mit den Eltern und Geschwistern gemeinsam einzunehmen, was sie eigentlich geniesst, in Ausnahmefällen hat die Mutter Lea sogar zur Arbeit begleitet, wenn sie das wünschte. Die Eltern sind im Kontakt mit den Arbeitgebern. Was macht es so schwierig, rechtzeitig zur Arbeit zu erscheinen und dort verantwortungsvoll mit zu arbeiten? Für Lea ist es schwierig, selbst aufzustehen, zu wissen, dass sie am Arbeitsplatz erscheinen muss. In der Schule konnte sie sich immer wieder Verspätungen leisten. Es macht ihr Mühe, dass ihre Vorgesetzte, die sie sehr nett findet, ihr Anweisungen gibt, sie darauf hinweist, wenn sie etwas vergessen hat und sie auch lobt. Sie sei bald 18 jährig. Da dürfe man doch machen, was man wolle. Die Eltern und anderen Erwachsenen hätten ihr nichts zu sagen. Ihr Berufswunsch ist klar Kleinkinderzieherin. Sie sieht eigentlich auch ein, dass jedes am Arbeitsplatz zum Wohle der Kinder seine Aufgaben erfüllen muss.


Auch wenn im bisherigen Leben keine Krankheit oder andere Einschnitte erfolgen, kann es Jugendlichen schwer fallen, den Übergang ins junge Erwachsenenalter zu meistern. Der Vater vom 17 jährigen Martin erzählt, dass seinem Sohn der Eintritt ins Arbeitsleben, jetzt zu Beginn der Lehre schwer fällt. Schon im Vorfeld war es mühsam, seinen Sohn dazu zu bringen, sich zu bewerben. Einmal hat er ein kariertes Blatt, das für eine Bewerbung ungeeignet ist, für den Lebenslauf verwendet und der Sohn weigerte sich lange, die Arbeit des Schreibens nochmals auf sich zu nehmen. Manchmal fand der Vater am Boden Bewerbungsunterlagen, die dann, weil sie zerknittert waren, nochmals geschrieben werden mussten. Für Eltern und ihre Söhne und Töchter ist es hart, sich auch nach 20 Absagen weiter zu bewerben. Die Jugendlichen wissen, dass sie sich eigentlich **selbst motivieren** müssen, was aber oft nicht gelingt. Sie wissen noch nicht, worauf es ankommt, wie der kühle Wind der heutigen Arbeitswelt sich anfühlt. Sie sperren sich dann aber häufig auch gegen die Unterstützung, gegen das Stossen und Schubsen der Eltern. Martin hat dann nach vielen Bewerbungen, Vorstellungsgesprächen und Schnupperwochen diese Lehrstelle gefunden. Die Arbeit und das Umfeld machten ihm grossen Spass. Trotzdem war es in den ersten drei Monaten für alle Beteiligte anstrengend zu erreichen, dass Martin pünktlich zur Arbeit erscheint und die Anweisungen der Vorgesetzten erfüllt. Auch er hielt sich über den Tonfall und den Inhalt der Anweisungen auf, widersprach häufig und verhielt sich bockig. Daneben muss der Schulunterricht besucht werden. Die Hausaufgaben müssen nach der Arbeit und am Wochenende erledigt werden. Martin war oft sehr müde, lustlos und widerspenstig. Unterdessen geht es viel besser. Natürlich stinkt es ihm manchmal, zur Arbeit zu gehen. Er ermüdet jetzt weniger und hat Wege gefunden, wie er **seiner Arbeit einiges abgewinnen** kann und auch in der **Freizeit auf seine Rechnung** kommt. Er hat den **Übergang** geschafft.


Auch wenn eine weiterführende Schule und dann ein Studium an der Universität begonnen werden soll, kann der Übergang schwer fallen. Den Weg über das Gymnasium an die Universität wählt man freiwillig. Während des Studiums wird viel Selbstverantwortung verlangt. Auch wenn der Übergang ins Berufsleben erst im Alter von 25, 26 Jahren erfolgt, werden ähnliche Themen aktuell wie Bewerbungen angemessen verfassen, Vorstellungsgespräche, am Arbeitsort Anweisungen und Arbeiten ausführen, für die vielleicht kein Studium nötig wäre. Auch negative Kritik anzunehmen, zu überdenken, was berechtigt ist, auch wenn sie nicht ausgewogen formuliert ist, kann eine Herausforderung sein.


Was hilft, dass dieser **Übergang leichter fällt**? Junge Leute berichten, dass es ihnen hilft, wenn sie schon während der Schulzeit einen Ferien- oder Wochenjob hatten, wenn sie schon in anderen Situationen etwas durchstehen mussten, auch wenn es anstrengend oder gar schwierig war. Das kann beispielsweise innerhalb einer Jugendgruppe wie Pfadfinder, Musikunterricht oder auch eine körperliche Erkrankung sein.

Eltern berichten, dass es besonders in dieser Zeit wichtig ist, dass **Vater und Mutter ein Team** bilden, dass sie sich immer wieder hinterfragen, was ist jetzt wirklich wichtig, wo braucht es **Lob oder Ermutigung**, wo ein Schubsen oder gar **Beharren auf einer Forderung**. **Das Elternhaus ist in dieser Zeit wie ein Flugplatz mit Start- und Landebahn**. Manchmal braucht es die Lotsen sehr intensiv.


Übergänge im Leben sind nicht immer so einfach zu bewältigen wie denjenigen von Grossbasel zu Kleinbasel. Jugendliche müssen sich zuerst vom einen Ufer, der Kind- und Schulzeit verabschieden, die Brücke der Schnupperlehren, Bewerbungen begehen, um dann ans andere Ufer, in die Arbeitswelt zu gelangen. Das kann mit Ängsten, Verunsicherungen, Mutlosigkeit verbunden sein trotz der Neugier, der Freude und dem Interesse, Neues kennen zu lernen und zu erfahren. Auch die Eltern, die sie begleiten, meistern für sich selbst und mit den Söhnen und Töchtern einen Übergang.