Über Methodenboom und die Berufsrolle

Der erste Tag der Weiterbildung in Systemaufstellungen ist herum. Es ist bisher unsere kleinste Weiterbildungsgruppe mit insgesamt nur 7 Teilnehmern, d. h. 1 Teilnehmer und 6 Teilnehmerinnen. Nachdem es einmal schien, als ob auch Männer mehr zur Aufstellungsarbeit fänden, hat sich inzwischen das im therapeutischen Sektor verbreitete Zahlenverhältnis hergestellt.


Booms von Methoden sind interessant und unberechenbar. Ich erinnere mich noch, wie in den 70er Jahren die Gestalttherapie diese Rolle hatte. Da gab es eine große Faszination, die über mehrere Jahre „Trendsetter“ anzog. Dann war es Bhagwan und Poona. Ein paar Jahre später Ähnliches mit dem NLP.


Eine enorme Welle rollte mit den Familienaufstellungen und Bert Hellinger an. Eine Zeitlang schien es so, als ob jeder wenigstens einmal im Leben seine Familie aufgestellt haben müsste. Die Nachfrage weitete sich kontinuierlich aus. 5-tägige Aufstellungsseminare, die ich durchführte, füllten sich wie von allein. Unsere Weiterbildungen hatten 30 Teilnehmer/innen plus Warteliste.

Dann plötzlich brach die Aufwärtskurve ab und ein. Die Gründe? Natürlich ein paar wichtige äußere Gründe. Vor allem die Auseinandersetzung über Hellinger im Spiegel, dazu die wirtschaftliche Krise in Deutschland und plötzliche Sparsamkeit. Aber das allein erklärt es nicht. Solche Booms scheinen bestimmten Stimmungen und ihren Gesetzmäßigkeiten zu gehorchen, die sich nicht voraussagen lassen. Außer dass man weiß: einmal muss der Boom vorüber sein. (Mit Aktien ist es ja auch nicht anders.)


Therapeutischen Methoden stabilisieren sich dann allmählich auf einem konstanten Niveau. Deshalb gibt es heute weiter die Psychoanalyse, das Psychodrama, die Primärtherapie usw. Ein bestimmter Gehalt und neuer Beitrag der Methode wird allmählich zum Allgemeingut. Die Trendsetter ziehen weiter ...


A propos Trend: „Trauma“ scheint mir der aktuelle Boom zu sein, der aber noch im Wachsen ist. Als ich vor 5 Jahren begeistert die Traumaausbildung bei Peter Levine in seiner Methode „Somatic Experiencing“ begann, schwante mir, das muss der nächste Trend sein. Denn im allgemeinen habe ich eine Nase dafür.


Jetzt noch ein paar Gedanken zu der letzten Aufstellung, die wir heute durchführten. Eine engagierte Lehrerin fragte danach, wie sie mit der Willensschwäche ihrer 14- und 15-jährigen Schülern umgehen könne, die sich bestimmten Fächern verweigerten. Zur Erforschung der Dynamik stellten wir Stellvertreter auf für den Lehrer auf, für den Schüler, für den „Nicht-Willen“, für die geliebten Fächer, für die ungeliebten Fächer, für die guten Noten und für die Angst. Die wichtigste Figur war der „Nicht-Willen“, sehr kraftvoll, entschlossen, den Schüler zu schützen. Der Schüler war sich selbst seiner Kraft gar nicht bewusst.

Das anschließende Gespräch in der Gruppe war lebhaft. Fragen, die sich mir persönlich stellen, sind: Was wird da eigentlich von diesem „passiven Widerstand“ geschützt? Wie geht es jedem einzelnen von uns damit in seinem Leben – konkret: Wo leiste ich passiv Widerstand, um etwas in mir zu schützen?


Das andere Thema, das berührt wurde, war: Inwieweit nimmt die Lehrerin wirklich ihre Berufsrolle an? Oder steht sie innerlich mehr auf Seiten der Schüler? (Ich hatte diese Spaltung einmal bei einer Aufstellung im Gefängnis erlebt. Sozialarbeiter dort identifizierten sich mit ihren Klienten, wollten nicht ihre eigentliche Rolle im staatlichen Dienst sehen und annehmen – und wurden dementsprechend auch von den Gefangenen ausgenutzt.)


In Aufstellungen lässt sich sehen: Wer die Institution und seine Vorgesetzten achtet, kommt in Frieden mit seiner Rolle. Aber diese Achtung, am unmittelbarsten ausgedrückt in einer Verneigung, lässt sich nicht „machen“. Das Gegenüber spürt, ob es echt ist oder nicht.

Vielleicht werden wir diese Verneigung in den nächsten Tagen einmal für die jeweiligen Berufsrollen ausprobieren ...