Trauzeugen

Heute abend war ich mit einem (relativ) jungen Paar essen. Die beiden wollen demnächst heiraten. Die Diskussion der Heiratspläne war für mich sehr überraschend und hat eine gewisse aufklärerische Wirkung gehabt.


Da ich schon lange nicht mehr geheiratet habe, ist mir vollkommen entgangen, dass sich die formalen Regeln dafür radikal geändert haben (d.h. sie sind geändert worden, da sich gesetzliche Regelungen ja nicht wirklich autonom ändern).


Das Wichtigste scheint mir: Man braucht kein Aufgebot mehr und keine Trauzeugen.


Das scheint mir aus systemischer Sicht eine höchst signifikante Veränderung. Denn das Aufgebot war ja dazu da, die Vorgeschichte der beiden Partner darauf hin zu überprüfen, ob es von irgendwem sonst Ansprüche an einen der Partner gäbe. Im Prinzip war es möglich zu sagen: "Ich erhebe Einspruch - dieser Mann gehört mir, den gebe ich nicht so einfach her!"


Dass man Trauzeugen brauchte, machte die Heirat zu einem öffentlichen Akt, der eine andere Bedeutung als der Kauf/Verkauf eines Autos hat. Denn dort verzichtet man auf solche Zeugen: "Helmut, willst Du diesen alten Audi 100 zu Deinem angetrauten Auto machen...?"


Es geht bei der Eheschließung offenbar ja um mehr als nur das Abschließen eines Vertrages zwischen zwei mündigen und geschäftsfähigen Bürgern. Heiraten ist nicht nur eine dyadische Vereinbarung, sondern Dritte (früher die beiden Zeugen, die für die Gesellschaft standen) haben diesen Akt kommunikativ ratifiziert. Nur so war es möglich, den beiden Partnern eine sozial definierte, neue Identität ("Herr und Frau Schulze") zuzuschreiben, die weitreichende Konsequenzen hat. Sie bezogen sich ja nicht nur auf die Steuerklasse, sondern auf die Wahrnehmung durch andere. Wenn sie vorher mit "Du" angeredet wurden, werden sie nun nur noch mit "Ihr" angesprochen. Und damit das auch jeder tut - der Versuch, den Kontext der weiteren Interaktion zu definieren - werden Anzeigen verschickt und ein Ring an den Finger gesteckt (damit diejenigen, die keine Anzeige bekommen haben, nicht aus Versehen einen der Partner verführen...).


All das scheint mit der Abschaffung der Trauzeugen über Bord geworfen. Die Öffentlichkeit nimmt nur noch in Gestalt des Finanzbeamten an der Eheschließung teil, der nun eine andere Steuer zu berechnen hat (und der Schweigepflicht unterworfen ist).


Aber es ist eigentlich ja nur konsequent, dass die Ehe zu einer Privatangelegenheit der beiden Partner geworden ist. Schließlich arrangieren ja auch nicht mehr die Eltern die Ehe... (ob das nicht eh der bessere Weg war, ist noch nicht wirklich entschieden).