Traumatisierte Kommunikation?

Guten Tag, liebe Freunde des Carl-Auer Blogs,


ein Interview (s. heutige taz S. 15) mit dem israelischen Schriftsteller Jitzhak Laor hat mich so fasziniert, dass ich das hier aufgreifen möchte.


Laor: "Wenn eine Gesellschaft traumatisiert ist, heißt das, dass es einen Bruch der Ideologie gibt. Trauma bedeutet die Unmöglichkeit, etwas zu beschreiben. Die Vorstellung ist gebrochen. Nein, ich glaube nicht, dass die israelische Gesellschaft traumatisiert ist. Ich glaube, das ist nur eine Entschuldigung, um keine Fragen beantworten zu müssen ... (und später sagt er noch) ... Der Libanonkrieg war ein echter Bruch: Es war das erste Mal, dass die Leute in der Armee nicht mehr alles geglaubt haben."


Kann es das geben, eine traumatisierte Gesellschaft, also nach sytemischem Denken, eine traumatisierte Kommunikation? Oder genauer: Was beschreibt man damit? Oder mit anderer Perspektive: Wie kann man das beschreiben?


Laor stellt einen 'Bruch' in den Mittelpunkt, einen Bruch in der Ideologie, einen Bruch der Vorstellung und beobachtet als Folge eine Unmöglichkeit, etwas noch beschreiben zu können. Wobei mir nicht ganz klar ist, ob ich das als eine generelle Unfähigkeit zum Beschreiben auffassen möchte, oder als Unfähigkeit etwas Bestimmtes zu beschreiben.


Jedenfalls scheint mir naheliegend, mit dem Trauma einer Gesellschaft eine Situation zu beschreiben, in der das Auseinanderfallen der Gesellschaft domminiert, und das kann doch nur eine Situation sein, in der die Kommunikationen auseinanderfallen.

Aber was heißt jetzt das schon wieder – 'auseinanderfallen von Kommunikationen'? – Vielleicht ein dramatischer Verlust von Geschlossenheit, ein dramatisches Anwachsen von scharfen Nein-Nein-Kommunikationen die mit einem Wildwuchs von Freund-Feind-Bildern einhergehen, ein dramatisches Auseinanderfallen von Verstehen und dem Selbstverständnis, also ein anwachsen von Mißverständnissen, die vielleicht im Nachhinein in einem qualvollen (Heil-) Prozess verstanden werden könnten (siehe der Zerfall des alten Jugoslavien).


Die wirkliche Sprachlosigkeit und Stille, quasi der vorübergehende partielle Tod der Gesellschaft ("die Unmöglichkeit, etwas zu Beschreiben") ist dann eine Situation, die davon zu unterscheiden ist (... siehe die erklärte Unfähigkeit, in Deutschland nach unserem Vernichtungskrieg 'je wieder ein Gedicht schreiben zu können' - (weiß grad nicht wer das gesagt hat)).


Aus Laors Worten lese ich Wertungen: Das vorgeschützte Trauma als Schutz vor unangenehmer Reflektion (unangenehmen Fragen) auf der einen Seite, und das 'gute' Trauma, der echte Bruch, als 'die Leute in der Armee nicht mehr alles geglaubt haben'.


Als blog-gemäße wertende Vereinfachung gewinne ich: Tätergesellschaften ist Traumatisierung zu wünschen. Also in einer solchen Situation möchte ich dann dazu beitragen – so wie Laor sich um Traumatisierung der israelischen Gesellschaft bemüht und deshalb auch eine Phase der Anfeindung in der Gesellschaft in Kauf nimmt (ohne mich mit Loar zu messen).


Viel klarer ist mir das Ganze noch nicht geworden, aber ich mag den Gedanken trotzdem (hier aufschreiben).


Soweit für heute mit herzlichen Grüßen und der kleinen Hoffnung, dass es Euch mehr bedeutet als das berühmte Fahrrad, das dauernd in Australien umfällt (kann da mal einer einen gescheiten Ständer anbringen)


Peter Schlötter