Total positiver Lehrer

Sommerferien. Endlich Zeit und Gelegenheit für Schüler und Lehrer abzuschalten. In vier Bundesländern sind sie ja seit Beginn dieser Kehrwoche schon wieder vorbei, während der Süden der Republik gerade erst richtig angefangen hat. Eine einzige Woche waren gleichzeitig Ferien in ganz Deutschland, verrät der Kalender. Ferien: Auftanken für die Zeit danach. Aber wie?


Georgi Lozanov, der bulgarische Erfinder der Suggestopädie, wurde einmal von einem Kongressteilnehmer gefragt, was er als normaler Lehrer an einer gewöhnlichen Schule machen könne. Lozanov darauf: *„Seien Sie ein total positiver Lehrer!“* (Es könnte sich natürlich auch um eine total positive Lehrerin gehandelt haben!) Leichter gesagt als getan. In manchem Lehrerzimmer erntet man mit diesem Satz allenfalls ein Hohngelächter. Bei all dem Alltagsärger, der das Geschehen in der Schule bestimmt. In den Ferien vielleicht mag das angehen, aber im laufenden Betrieb?


Es ist möglich, behaupte ich kühn (und lehne mich dabei weit aus dem Fenster, ich weiß!). Mit Hilfe von *Autosuggestion*. Konstruktivismus für das Unterbewusstsein? Die Plastizität meines Gehirns kann auch in diesem Bereich für Wachstum sorgen. Aber wie? Na ja, für die Carl-Auer-Freunde wird das doch größtenteils eine Selbstverständlichkeit sein, zumal für die beratend und therapeutisch tätigen, sowohl das Wissen darüber als auch die Erfahrung damit. Da ist bei mir der Gedanke an den Altmeister der *Autosuggestion*, an den Bücherflohmarkt vor rund 25 Jahren, das völlig abgegriffene Exemplar von Emile Coués *„Kunst der Selbstbemeisterung“* aus dem Jahre 1925, das mir dort in die Händ fiel. Das große Geheimnis des zu seiner Zeit so umstrittenen wie überaus erfolgreichen und in ganz Frankreich beliebten „Heilers“ war die schlichte Botschaft an seine Klienten, immer wieder den Satz zu memorieren: *„Es geht mir von Tag zu Tag immer besser und besser!“* Die *Autosuggestion* nutzt erfolgreich den Placeboeffekt (für mich ein sehr positiver Begriff, auf den sich aufbauen lässt), ist für manche „Rationalisten“ aber noch immer ein rotes Tuch. Die Beobachtungen der psychosomatischen Mediziner, z.B. Joachim Bauer(Das Gedächtnis des Körpers), dagegen legen nahe, konkrete Zusammenhänge zu suchen. Und die „Oberstufe“ des AT gehört zum Sebsthilfeprogramm vieler Ärzte, Psychologen und anderer „Wissender“. Die schlichte *Autosuggestion* im Wachbewusstsein ist im Vergleich dazu gewiss eine leichte geistige Übung, die jeder Mensch risikofrei ausprobieren kann.


*„Ich bin ein(e) total positive(r) Lehrer(in)!“ (Universitätsprofessor, Organisationsberaterin, Therapeut, Arzt, Autor, Lektorin, systemischer Straßenfeger usw.)* Man kann über diesen Satz meditieren. Das hört sich großartig an, geht aber auch so ganz nebenbei als Einstimmung auf den Tag. Beim Zähneputzen, unter der Dusche, auf dem Weg zur Schule, an einer Ampel wartend, den Weg vom Parkplatz zur Schule zurücklegend, einfach jede Gelegenheit nutzend: *„Ich bin heute ein total positiver Lehrer!“* Voll eins mit diesem einen Gedanken. An der Schultür oder schon zuvor tauchen Sie ein in den Alltag. Vergessen Sie ruhig Ihre Übung. Sie wirkt dennoch nach. Ich habe es unzählige Male erlebt: Tage mit dieser Einstimmung liefen irgendwie anders. Wenn ich an solchen Tagen abends zurück blickte, wunderte ich mich nicht selten, wie unbeschadet ich über manche Klippe und Falle hinweg gekommen war. Meine emotionalen Steuerungszentren haben wohl wie eine selbst steuernde Bremse oder auch eine Schutzhülle gewirkt und mich innerlich fragen lassen: Ist das wirklich so, wie es scheint? Mir fielen in kritischen Situationen wirklich positive Leitsätze (Blog vom 09.08.) ein. Ich war geduldiger, verstand vieles, das sich mir sonst eher verschloss usw.


Nun sind Ferien. Zeit „total positiv“ zu sein. Unterwegs. Im Stau? *„Ich bin ein total positiver Autofahrer!“* Keine Zweifel! Ich wette, Sie müssen sich viel weniger, wenn überhaupt aufregen. Ich gehe jede Wette ein, dass die Lust zum Fliegenlassen von Idioten, Fäkalien und deren Pforten weit geringer ist als ohne solche Übung. Wartezeiten als geschenkte, statt verlorene Zeit (das ist wie mit dem halb leeren und halb vollen Glas) empfinden können. Gerade gestern sah ich im Fernsehen kurze Interviews mit Menschen im Stau. Ich hatte den Eindruck, das sei für manche der Wartenden gerade die rechte Gelegenheit, sich auf schöne Tage am Strand zu freuen, statt wegen der brütenden Sonne und im Gestank der Abgase zu jammern.


*Autopoiese* mag ein abstrakter Begriff des Konstruktivismus sein. Mit solcher Übung wird sie konkret: Selbstentwicklung. *„Ändernd euch selbst, verändert die Welt!“*, sagte Bertold Brecht. Lehrt nicht die neue scannergestützte Hirnforschung, dass nur ein winziger Bruchteil des Geschehens in unserem Gehirn mit dem Bewusstsein (also dem Verstand) erfasst wird, ja dass wir vieles, was wir wissen und können, gelernt haben ohne überhaupt zu wissen, dass wir lernen? *„Der Mensch lernt immer. Er kann gar nicht anders“,* schreibt Manfred Spitzer. Warum also soll unser Gehirn nicht lernen, dass es nun für einen total positiven Autofahrer (oder Lehrer oder Professor oder was auch immer) arbeitet. Wir können auch von guten Vorbildern lernen (auch wenn uns niemand dazu zwingen kann). Ich denke da an unsere Kolleginnen und Kollegen aus Kanada (Blog vom 12.08.) oder Finnland oder von der Helene-Lange-Schule Wiesbaden und ihre langjährige Schulleiterin Enja Riegel (Schule kann gelingen). Mitunter gibt es auch gute Ideen in Ihrer Lokalzeitung über Ihre Nachbarschule, wovon Sie bisher nichts bemerkt hatten. So war es mirdamals gegangen mit dem "Hilfslehrer Hund" (Blog vom 10. August). *“Worum wir uns auch immer kümmern, seien es Möglichkeiten oder Probleme. Alles wird umso größer, je mehr wir uns damit beschäftigen“*, meinte Lynn Dhority.


Ich möchte anderen Schulmenschen etwas Mut machen: Wir können einige Fesseln lösen, neue Erfahrungen zulassen und untereinander weiter geben, dann muss nicht ein Drittel unserer Kolleginnen und Kollegen in ein Burnout geraten, wie die Befunde von Schaarschmidt (2003) und Bauer (2004) feststellten. Davon bin ich überzeugt. Ich denke an Stanislav Grofs optimistische These: *„Wenn genug Leute ihr Bewusstsein verändern, wird so etwas wie eine Epidemie daraus.“* Ich träume von der autopoietischen Kraft total positiver Lehrer. Und dieser Traum ist real. Wenn wir erst anfangen den Kopf zu heben und den Blick nach draußen zu richten, um zu schauen, was es außer dem, was wir da täglich taten und für richtig fanden, noch so gibt in dieser weiten Welt. Da wächst die Hoffnung auf eine ganz andere Schule mit Lehrern, denen es gelingt, ihren Schülern tolle Entwicklungen zu ermöglichen. Das ist gewiss kein rascher und direkter Weg, aber ein gangbarer. *“Der Weg entsteht beim Gehen. Und auch die weiteste Reise beginnt mit dem ersten Schritt“,* sagen die Japaner. Ferien sind ideal für den ersten Schritt.


Ich wünsche Ihnen Mut zum ersten Schritt, einen langen inspirierenden Weg und ein ständiges Wachstum der guten Möglichkeiten und ich grüße Sie aus dem (noch immer) sonnigen Süden

Horst Kasper