Tiefensee

Heute morgen habe ich im ARD-Morgenmagazin ein Interview mit Herrn Tiefensee gesehen. Unser aller Verkehrsminister wurde gefragt, ob es stimmt, dass er einen Brief an den Vorsitzenden der Gewerkschaft der Lokomotivführer geschrieben habe, in dem er ihn zur "Mäßigung" aufgefordert habe...


Ohne vor Scham rot zu werden, gestand er diese Tat, und erklärte, er habe dort darzulegen versucht, dass Streiks nicht das richtige Mittel der Auseinandersetzung zwischen Tarifpartnern seien, sondern man sich zu Verhandlungen an einen Tisch setzen solle, um so eine gute Lösung zu finden.


Wenn Herr Tiefensee so etwas als Privatmann denkt, so sei ihm das unbenommen. Auch wenn mir solch eine Ansicht eher Zweifel daran aufkommen läßt, dass er die Grundregeln des Kapitalismus verstanden hat. Aber die hat er als Ossi eben nicht mit der Muttermilch verfüttert bekommen. Warum sollte ein kleiner, schwacher Tarifpartner auf das einzige Machtmittel, das er hat, freiwillig und ohne Not verzichten? Das wäre ausgesprochen blöd. Wenn es nicht das Mittel des Streiks gäbe, dann hätten wir heute wahrscheinlich immer noch das System des Steinzeit-Kapitalismus... (von wegen Soziale Marktwirtschaft!). Leider wird dieses Instrument immer stumpfer, so dass das Gleichgewicht der Kräfte als Motivator für nachhaltige Konfliktlösungen immer mehr an Bedeutung verliert. Solange die Bahnführung denkt, sie würde aus dem Konflikt als Sieger hervorgehen, wird es keine tragfähige Lösung geben.


(Weil sie das merken, sympathisieren wahrscheinlich ja auch - ARD-Umfrage von gestern abend - mehr als 60 Prozent aller Bundesbürger mit den Lokführern und sogar 71 Prozent der Bahnbenutzer [!]. Ein Hinweis darauf, dass hier die GDL einen symbolischen Konflikt austrägt. Hartmut Mehdorn auf der anderen Seite symbolisiert die Interessen des "Investors an sich" und hat es in dieser Rolle mit sicherem Instinkt zum beliebtesten Feindbild in der BRD gebracht hat - vor allem bei Bahnbenutzern.)


Als Verkehrsminister - um zu Tiefensee zurück zu kommen - ist er Vertreter des Eigentümers der Bahn. Deswegen ist es so lächerlich, einen Brief an die Lokführer zu schreiben. Das wäre so, als wenn in einem x-beliebigen, von einem Eigner geführten Unternehmen, der Eigner an seine Mitarbeiter, die mit Streik drohen, einen Brief schreibt, in dem er sagt: "Seid doch vernünftig, Kinder! Streik bringt doch nichts...!"


Der Witz des Streiks ist, dass Symmetrie in die Beziehung gebracht wird. Die Mitarbeiter sind nicht Bittsteller und der Verkehrsminister ist nicht der Patriarch, der die Regeln der Auseinandersetzung festlegen kann. Wenn er sich als Repräsentant des Eigners einmischen will in den Konflikt, so kann er das nur, indem er Herrn Mehdorn als seinem Angestellten Anweisungen gibt, sich in der einen oder anderen Weise zu verhalten. Und das wäre dann keine Einmischung der Politik, sondern das Wahrnehmen der Rechte des Eigentümers (wie das Angela Merkel ja bereits beim geplanten Umzug der Bahnzentrale nach Hambug getan hat).


Es ist offenbar schwer für unseren Minister, die beiden Rollen, die er inne hat, auseinander zu halten. Dieser Brief ist aber in jedem Fall vollkommen "daneben". Denn entweder es ist der paternalisierende Versuch eines Eigentümers, seine Mitarbeiter moralisierend zum Verzicht auf ihre einzigen Machtmittel zu bewegen, oder es ist, was auch nicht besser ist, der Versuch eines Ministers, sich in die Autonomie der Tarifpartner einzumischen...