Tetralemma

Gestern und vorgestern habe ich mit Mathias Varga von Kibéd ein Seminar über das Tetralemma abgehalten.


Was wir geschafft haben in diesen zwei Tagen, ist nicht zu verachten: Wir wissen jetzt, was wir vorher nur vermuteten: dass wir den Begriff sehr unterschiedlich verwenden.


Ursprünglich stammt er aus der indischen Gerichtsbarkeit, hat Eingang in die indische und buddhistische Logik gefunden, wo er von Mathias Varga aufgespürt wurde, für seine Form der Aufstellung verwendet wurde, und dann von mir - weil Tetralemma so schön klingt und mir zu dem, was ich damit bezeichnen wollte, so gut zu passen schien - geklaut wurde. Aber, so viel ist klar, wir beide verstehen etwas anderes unter Tetralemma.


Diese unterschiedlichen Verstehensweisen und ihre praktischen Konsequenzen für Therapie und Beratung wie für die Konzeptualisierung von Konflikten im Allgemeinen zu diskutieren, war Ziel der Veranstaltung. Wir haben - wie zu erwarten - lange aneinander vorbei geredet, aber nach zwei Tagen hatten wir den Eindruck, wir wüßten nun wenigstens, was der andere jeweils meint, so dass wir jetzt eigentlich anfangen könnten zu arbeiten...


Im Grunde geht es darum, dass man unterschiedliche Typen von Konflikten beschreiben kann. Einmal stehen sich zwei (bzw. vier) Optionen, Sätze, Deutungen, Wahlmöglichkeiten, Verhaltensweisen usw. gegenüber, die logisch miteinander kompatibel sind (die Kibed'sche Version), das andere Mal stehen sich zwei Optionen (bzw. ihre Negationen) gegenüber, die sich gegenseitig logisch ausschließen (meine Version).


In beiden Fällen ergeben sich zwangsläufig nicht nur unterschiedliche Formen des Konflikts, sondern auch der Konfliktlösung. Wenn die beiden Seiten der Altnative kompatibel sind, gibt es erheblich mehr und einfachere und alltäglichere Lösungen als wenn das nicht der Fall ist. Dann bedarf es der krativen Lösungen, welche die die bis dahin bestehenden logischen Grenzen überschreiten, wie etwa Psychose oder Gewalt.


Beispiel: Ein Paar überlegt, ob es ins Kino gehen oder lieber Popcorn essen soll. Er will Popcorn, sie ins Kino. Hier kann eine Lösung gefunden werden, die relativ einfach ist: Beim Popcornessen ins Kino gehen bzw. umgekehrt (so ist diese häßliche Unsitte, im Kino Popcorn zu essen, wahrscheinlich erfunden worden). Ganz anders ist die Situation, wenn einer ins Kino will, der andere auf keinen Fall. In solch einem Fall ist er oder sie durch das Verfüttern von Popcorn nicht ruhig zu stellen.


Noch problematischer wird es, wenn der Konflikt sich um etwas handelt, zu dem beide ja sagen müssen (was beim Ins-Kino-Gehen und Popcornessen ja nicht unbedingt der Fall ist, da man beides auch allein machen könnte: Einer geht ins Kino,einer ißt Popcorn). Also beispielsweise, wenn es nicht ums Kino, sondern ums Bett geht. Hier kommen dann plötzlich ganz andere "Lösungsideen" ins Spiel, z.B. Gewalt usw.


Ich kann und will hier nicht weiter auf diese Differenzierungen eingehen, auf jeden Fall ist klar, dass es Konsequenzen hat, ob man die eine oder andere Art von Konflikt oder gar eine dritte, vierte oder fünfte anschaut.


Das Schöne war, dass wir - als wir unsere Positionen verstanden hatten - nicht streiten mussten, wer recht hat. Schließlich ist es ziemlich sinnlos darüber zu streiten, wie jemand sein Weltbild ordnet - vor allem, wenn damit jeweils unterschiedliche Ziele verbunden sind.


Ich bin auf jeden Fall - das ist ja der tiefere Sinn solcher Veranstaltungen - mit der Überzeugung nach Hause gekommen, dass mein Modell für meine Zwecke das richtige und passende ist. Aber wir werden weiter an diesem Thema herumkauen und sehen, was dabei herauskommt (es fühlte sich jedenfalls ganz vielversprechend an - sollten wir jemals die Zeit dazu finden)...


p.s.: Wer sich für die verschiedenen Tetralemmata interessiert: die Kibédschen sind in dem Buch "Ganz im Gegenteil" zu finden, meine in "Tödliche Konflikte" (bei Carl-Auer-Verlag).