Systemisch archäologisches Tagebuch 3

Getreu dem von Penn und Frankfurt in ihrem Artikel „Multiple Voices“ formulierten therapeutischen Gedanken, hilfreiche Therapie verwirkliche sich als Übergang von einer Einstimmigkeit zu einer Vielstimmigkeit des Erzählens rund um eigenes Selbst, rund um Beziehungen, rund um Problemthemen und Lösungen, soll heute eine zweite Erzählversion der Oster-Insel dargestellt werden – eine Geschichte, wie sie von James & Thorpe bzw. in jüngerer Zeit von J. Diamond vertreten wird.


Gemäß diesen Autoren erfolgte die Besiedelung der Oster-Insel um etwa 900 n. Chr. durch ausschließlich polynesische Einwanderer.

Die Besiedelung erfolgte von den weiter westlich gelegenen Fiji-Inseln, von Samoa bzw. Tonga aus, wo sich etwa um 600 v. Chr. polynesische Bauern und Seefahrer niedergelassen hatten, deren Vorfahren bis 1200 v. Chr. auf Inseln des Bismarck-Archipels nordöstlich von Neuguinea gelebt hatten.


Die langen Reiserouten, die mit Kanus zurückgelegt wurden, zeigen diese Einwanderer als Meister der Navigation. Dass die Besiedelung neuer Inseln planvoll erfolgte, wird u.a. aus dem Orientierungssystem der Segler deutlich: Polynesische Seefahrer wussten über eine Insel in der Weite des Südpazifik Bescheid, lange bevor sie in Sicht kam. Als Anhaltspunkte dienten ihnen Seevogelschwärme, die in einem Umkreis von etwa 150 Kilometern um eine Insel nach Nahrung suchen.


Die Besiedelung der Oster-Insel erfolgte von den Pitcairn-Inseln aus (Mangareva, Pitcairn und Henderson); darauf verweisen Ähnlichkeiten der Sprache wie Korrespondenzen zwischen Steinstatuen der Oster-Insel und der Pitcairn-Gruppe, Ähnlichkeiten der Werkzeugherstellung wie auch der Schädelform; als Anführer der Siedler wird wie bei Heyerdahl ein Häuptling namens Hotu Matua („Großer Vater“) angegeben, der samt seiner Großfamilie mit 2 Kanus gelandet sein soll.


Gemäß James & Thorpe bzw. Diamond gab es nur eine einzige Besiedelungswelle, kulturelle Kontakte mit Nachbarinseln sind nicht belegbar.


Die frühen Siedler ernährten sich sowohl von See- und Landvögeln wie von Delphinen; nachdem diese Nahrungsquellen versiegten, stellten sich die Bewohner auf kohlehydratreiche Ernährung um.

Auf die hohe Anpassungsfähigkeit/ Problemlösungskompetenz der Siedler verweisen eine intensive Landwirtschaft, basierend auf Süßkartoffeln, Yams, Taro, Bananen und Zuckerrohr, ein komplexes Wasserverteilungssystem, zahlreiche aus Stein errichtete Hühnerställe und die Anlegung kunstvoller Steingärten. Große Felsblöcke wurden aufgeschichtet, um Pflanzen vor der Austrocknung durch den Wind zu schützen. In diesen Gärten wuchsen Bananen bzw. wurden Keimlinge gezüchtet. Die Steine deckten den Boden ab und hielten die Feuchtigkeit fest, sie verminderten die Verdunstung durch Sonne und Wind; sie reduzierten die täglichen Schwankungen der Bodentemperatur und schützten den Boden gegen Erosion durch auftreffende Regentropfen.


In ihrer Blütezeit – dem 9. bis 12. Jahrhundert – war die Insel dicht besiedelt: Schätzungen reichen bis zu 30 000 Bewohnern, was gemessen an der Größe der Insel eine sehr hohe Bevölkerungsdichte ergibt.

Gesellschaftlich war die Osterinsel hierarchisch gegliedert; während die Elite in sog. hare paenga – strohgedeckten Häusern in Form langer umgedrehter Kanus - in Küstennähe nahe den Plattformen mit den moai-Statuen lebte, wohnten die einfachen Leute in kleineren Steinbauten landeinwärts.


Die Oster-Insel war aller Wahrscheinlichkeit nach in zwölf Territorien unterteilt, die jeweils einer Sippe gehörten; diese Territorien erstreckten sich keilförmig von der Küste in Landesinnere. Jedes Territorium verfügte über eigene ahus. Jedes dieser Territorien barg spezifische Ressourcen – etwa die Kontrolle über die Steinbrüche für die Statuen, die Kontrolle über den Steinbruch für Obsidian, der als Material für die Faustkeile diente, die bei der Anfertigung der moai gebraucht wurden, über einen bevorzugten Zugang zum Strand und somit zum Fischfang, über die Nistgebiete von Seevögeln. Auch andere Ressourcen wie etwa Bauholz, Korallen zur Herstellung von Feilen, roter Ocker und Papiermaulbeerbäume (aus deren Rinde man die tapa-Stoffe herstellte) waren über die verschiedenen Territorien verteilt.

Aus dieser Ressourcen-Verteilung ergab sich eine enge wirtschaftliche Verflechtung und Kooperation der einzelnen Sippen.

Religiös, politisch und wirtschaftlich war die Oster-Insel in ihrer Blütezeit geeint.


Morgen soll der Frage nachgegangen werden, welche der beiden Erzählversionen der Oster-Insel rund um eigene Herkunft und Lebensgeschichte sich als hilfreiche Erzählung lesen lässt; und natürlich ist es an der Zeit, White & Epston ausführlich zu Wort kommen zu lassen.