Systemisch archäologisches Tagebuch 2

Heute die angekündigte (dominante) Erzählversion rund um die Blütezeit der Oster-Insel: Sie stammt von Thor Heyerdahl, einem norwegischen Biologen, der Teile seiner Studienzeit auf der polynesischen Insel Fatu Hiva verbrachte und in Zusammenhang mit der Pflanzendistribution der Insel gegen eine bis dahin angenommene Besiedlung Polynesiens von Osten her argumentierte; seine botanischen Studien verwiesen auf eine von Westen bzw. Amerika ausgehende Besiedelung der polynesischen Eilande.


Dieser Argumentation stand aus damaliger archäologischer Sicht gegenüber, dass die Bewohner Amerikas zum Zeitpunkt der vermuteten Besiedelung nicht über geeignete Schiffe für eine Kolonisation verfügt hätten – die etwa an der Küste des vorkolumbianischen Peru gebräuchlichen Boote aus Balsaholz wurden bestenfalls als für eine küstennahe, nicht aber für eine küstenferne Schifffahrt geeignet betrachtet.


Heyerdahl inspirierte dieser Einwand zur Kon-Tiki-Expedition von 1947. Das hierbei verwendete Floß, das nach der Sonnengottheit der Inka benannt wurde, war aus Balsastämmen gefertigt und mit Hanfstricken verzurrt. Heyerdahl und seine Mannschaft brachen von der Küste Perus auf und erreichten 101 Tage später das 7000 Kilometer westlich gelegene polynesische Insel-Atoll Raroia östlich von Tahiti. Mit diesem Verfahren der experimentellen Archäologie gelang Heyerdahl der Nachweis einer möglichen Verbindung zwischen Polynesien und Amerika.


Gemäß der Heyerdahlschen Besiedelungstheorie wurde die Oster-Insel etwa um 800 n. Chr. von hellhäutigen Einwanderern von Peru aus besiedelt, später – zwischen 1000 und 1300 – folgte eine Welle polynesischer Siedler, die aus dem ostasiatischen Raum einwanderten.

Heyerdahl stützte seine frühe Geschichte der Oster-Insel auf mündliche Überlieferungen, die er während der archäologischen Erkundung der Oster-Insel Mitte der 50er Jahre sammelte, sowie auf botanische, archäologische und linguistische Argumente.


Gemäß Heyerdahls mündlichen Quellen landete der unter dem Namen Hotu Matua bekannte Führer der Erstbesiedler der Oster-Insel im Ostteil der Insel; nach der Überlieferung soll er aus einem Wüstenland in westliche Richtung – in Richtung Sonnenuntergang - aufgebrochen sein.


Mündliche Quellen verwiesen gemäß Heyerdahl auf eine duale Besiedlung der Oster-Insel: So soll eine frühere Einwanderergruppe – die sog. „Langohren“ – als eigentlicher Zivilisationsträger fungiert haben, die frühen moai-Statuen wie auch die rongo-rongo-Schrift erschaffen haben; die dunkelhäutigen „Kurzohren“ – die polynesischen Einwanderer – erreichten gemäß dieser Version die Insel erst 200 Jahre später und leisteten Sklavenarbeit für die hellhäutige „Herrenrasse“, bis es zu einem Aufstand kam, in welchem die „Langohren“ getötet und die Statuen umgeworfen wurden.


Jenseits mündlicher Quellen stützte sich Heyerdahls Geschichte der Oster-Insel auf botanische Befunde: Das Vorkommen von Süßkartoffel, Flaschenkürbis und Maniok deutete ebenso wie das Vorkommen von totora-Gras, welches zum Eindecken der Häuser wie auch für den Bootsbau verwendet wurden, sowie die Existenz verschiedener Heilpflanzen, die auch rund um den Titicaca-See in Bolivien zu finden sind, auf Südamerika.


Archäologisch argumentierte Heyerdahl mit der Ähnlichkeit der moai-Statuen mit Plastiken, die westlich der Anden bei Prä-Inka-Kulturen (Tiahuanaco) gefunden wurden; eine weitere Analogie bestand gemäß Heyerdahl zwischen der Bauchtechnik der ahus – der Steinplattformen, auf welchen die Statuen aufgerichtet wurden - und jener präkolumbianischer Megalith-Bauten in Peru.


Auch die Form der Lang- und Rundhäusern wie die Bauweise von Wohnhöhlen verwiesen gemäß Heyerdahl auf einen südamerikanischen Ursprung.

Linguistisch räumte Heyerdahl zwar eine Dominanz des polynesischen Sprache ein, er wies aber nach, dass etwa die Zahlenwörter 1 bis 10 nicht-polynesischen Ursprungs waren, hingegen mit Prä-Inka-Idiomen an der peruanischen Küste übereinstimmten.


Heyerdahls Geschichte über die Besiedelung der Oster-Insel ist Teil eines größeren Narrativs: Hotu Matua und sein Volk werden hier als die Nachkommen von Seefahrern interpretiert, die in vorchristlicher Zeit aus dem Nahen Osten nach Amerika aufbrachen. Den Nachweis der Möglichkeit präkolumbianischer Seereisen nach Amerika erbrachte Heyerdahl mittels der berühmten Atlantik-Überquerungen mit den beiden Schilfbooten Ra I und Ra II, die ägyptischen Schilfbooten nachgebaut waren.


Als Ausgangsvölker der Erstsiedler bzw. „Langohren“ wurden von Heyerdahl sowohl die Anatolien ansässigen Hethiter wie auch protophönizische Völker in Betracht gezogen.

Nach ihrer Landung in Mittelamerika hätten diese hier als Kulturbringer fungiert; legendäre Führergestalten dieser Einwanderer aus dem östlichen Mittelmeerraum seien als Gottheiten in die jeweiligen Kulturen eingegangen: etwa als (hellhäutige) Gottheit Quetzalcoatel bei den Azteken, als (hellhäutige) Gottheit Viracocha bzw. Kon-Tiki bei Prä-Inka-Völkern in den Anden usf.; nach und nach seien diese Kulturträger allerdings vertrieben worden oder hätten sich mit den indigenen Völkern Amerikas vermischt, sodass der Auszug Kon-Tikis/ Hotu Matuas von Peru bzw. seine Landung auf der Osterinsel sich als vorletztes Kapitel einer langen Reise darstellt. Das letzte Kapitel dieser frühen Seefahrer fand ihren Ausdruck in der Blüte der Oster-Insel.


Ausgangspunkt von Psychotherapie sind Problemthemen, die in aller Regel in defizitorientierte Erzählungen von KlientInnen rund um ihr eigenes Selbst, rund um ihre Beziehungen und die Welt, in der sie leben, eingebettet sind.

Ausgangspunkt von Psychotherapie sind Geschichten, die vorherrschende Erfahrungen der Entbehrung, der Kränkung, des Verlustes, der Schuld, der Bedrohung widerspiegeln; es sind Geschichten, innerhalb derer sich die von Antonovsky (1979) beschriebenen Elemente von Salutogenese nicht oder unzureichend entfalten; sie verweisen auf eine restringierte Erfahrung der Bedeutung des eigenen Selbst; auf eine eingeschränkte Erfahrung, im Umgang mit sozialen anderen wie mit sich selbst etwas zum Besseren bewegen zu können; auf einen tiefen Zweifel, ob das eigene Sein, die eigene Geschichte über Sinn und Kohärenz verfügt.


Heyerdahls Geschichte der Oster-Insel legt hinsichtlich der polynesischen Einwanderer eine solche Erzählung nahe – eine degressive Erzählung, die mit einer Erzählung der Progression hinsichtlich der Erstbesiedler kontrastiert.