Systemisch archäologisches Tagebuch 1

Schon lange bewegt mich die Idee eines systemisch-archäologischen Tagebuches. Der Zeitpunkt, es hier und jetzt zu tun, ist gut gewählt: Mit dem bevorstehenden Osterfest jährt sich der Jahrestag der „Entdeckung“ der Oster-Insel durch Roggeveen am Ostermontag des Jahres 1722.


Die Oster-Insel soll in diesem über 7 Tage verteilten Tagebuch als Brücke dienen, welche Therapie und Archäologie verknüpft – gleich dem Cynogmathus, der vor rund 200 Millionen Jahren als evolutionäres Brückentier zwischen Reptilien und Säugetieren fungierte.


In den folgenden Tagen also ein Versuch, archäologische Aspekte von Therapie auszuloten: Zu Beginn werden Therapiedialoge archäologischen Grabungen nach Problemlösungs-Ressourcen und nach lösungsrelevanten Kompetenzen gleichgesetzt. Das eröffnet mir zugleich die Möglichkeit, auf Grabungsinstrumente wie etwa ein Fragen nach unique events und unique outcomes bzw. auf die Dekonstruktion defizitorientierter Erzählungen rund um eigenes Leben und eigene Biografie zu verweisen.


Das zweite Kapitel dieses Tagebuches orientiert sich an S. Freuds Beschreibung von Psychotherapie als „Archäologie des Unbewussten“: Übersetzt man „Unbewusstes“ unter einer störungstheoretischen Perspektive als Ort zentraler Konflikte, der als Ausgangspunkt dysfunktionaler bzw. leidvoller Entwicklungen gedacht wird, so umschreibt archäologische Grabung hier den Versuch der Rekonstruktion zentraler störungsgenerierender bzw. -aufrechterhaltender Kontextelemente eines Systems.


Zuletzt soll dann von Therapie als „Archäologie der Hoffnung“ die Rede sein - eine Gleichsetzung, die auf J. Winslade und G. Monk, zwei neuseeländische Kollegen aus dem Feld der narrativen Therapie, zurückgeht.


In der heutigen Introduktion muss freilich erst mein Protagonist – die Oster-Insel – vorgestellt werden:

Die Oster-Insel ist einer jener Orte, der schon lange meine Phantasie bewegt. Ich habe sie nie betreten, aber oft im Geist durchwandert.

Was die Oster-Insel zum Gegenstand von Sehnsucht und Nachdenken macht, ist nicht zuletzt ihre abgeschiedene Lage: Sie liegt – von Europa aus gesehen – am anderen Ende der Welt, weit entfernt; und doch tituliert sie sich selbst als rapa nui – als „Nabel der Welt“.

Sie ist Teil der Südsee und hat somit Anteil an jener Romantik, die ich dieser zuschreibe.


Zu der Faszination, die von ihr ausgeht, tragen die moai-Statuen der Insel wesentlich bei -Statuen, die einen stilisierten männlichen Oberkörper mit langen Ohren, die Hände über den Bauchnabel gelegt, darstellen. Diese Stauen erreichen eine Größe von bis zu 21 Metern, ihr Gewicht beträgt zwischen 10 und 270 Tonnen. Nach mündlichen Quellen repräsentieren sie hochrangige Vorfahren der Siedler.


Ihre Aufstellung ist beeindruckend, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sie mit Hilfe steinzeitlicher Werkzeugtechniken aus einem Steinbruch geschlagen, über zum Teil 15 Kilometer lange Wege zu ihren Aufstellungsorten transportiert und dort auf ahus – Steinplattformen – aufgerichtet und mit einem Block aus rötlichem Stein, der eine Federkrone darstellt, gekrönt wurden.


Die Oster-Insel ist von nahezu dreieckiger Form; sie besteht aus 3 Vulkanen, die sich nebeneinander aus dem Meer schoben, und deren Lava die Insel bedeckt. Ihre Fläche beträgt 172 Quadratkilometer, ihre maximale Hohe misst 500 Meter. Die Insel liegt auf 27 Grad südlicher Breite und 109 Grad westlicher Länge; die Entfernung nach Osten bis Chile, dem sie politisch zugehört, beträgt 3700 km, jene nach Pitcairn, der nächstgelegenen polynesischen Insel im Westen, beträgt 2100 km, jene weiter nach Neuseeland 3200 km.

Das Klima ist subtropisch; die Oster-Insel zählt damit zu jenen wenigen polynesischen Inseln, die weiter vom Äquator entfernt liegen.


Das umgebende Meer ist kalt, sodass Korallenriffe nicht bis an die Oberfläche wachsen können, was die maritimen Nahrungsressourcen begrenzt. Im Vergleich zu anderen polynesischen Inseln existiert rund um die Insel eine geringere Zahl von Fischarten. Der Niederschlag ist gering; zudem versickert das Wasser im porösen Vulkanboden der Insel rasch, was die geringe Süßwasser-Menge erklärt; viele Bäche fließen nur zu bestimmten Jahreszeiten.


Rund um die Entwicklung der Blütezeit der Oster-Insel bestehen unterschiedliche Erzählversionen, deren eine morgen erzählt werden soll. Diese Erzählversionen verweisen auf eine im Kontext systemisch-narrativer Therapie gebräuchliche Unterscheidung von dominanter und alternativer Erzählung (White, 1988) bzw. von problemsaturierter und lösungssaturierter Erzählung (Nosworthy & Lane, 1998).