System Mafia

Unter o.g. Titel fand in der Berliner Akademie der Künste (!) gestern eine Podiumsdiskussion statt. Die diskutierenden Sizilianer schienen voll südländischer Energie, aber trotzdem resigniert. Die Situation in Süditalien scheint hoffnungslos...


Was neben dieser emotionalen Situationsbeschreibung und der Darstellung der alltäglichen Korruption leider fehlte, war eine Analyse des Systems Mafia (trotz des Titels).


Denn die Mafia in ihrer sizialianischen Ausprägung ist ja aus der systemtheoretischen Perspektive ein höchst interessantes Gebilde. Es ist schwer, sie in eine Typologie der sozialen Systeme, mit denen wir es heute zu tun haben, einzuordnen. Sind es Wirtschaftsunternehmen? Oder stellen sie so etwas wie Parallelstaaten dar? ...


Die vier großen süditalienischen kriminellen Vereinigungen erzielen jede jährliche Umsätze von bis zu 35,9 Mrd. Euro. Das spricht für Wirtschaftsorganisationen: Unternehmen. Aber was sind die Produkte oder die Dienstleistungen, die sie verkaufen?


Auf der anderen Seite werden Schutzgelder erpresst - so die offizielle, staatliche Lesart -, aber eigentlich ist es, wie gestern formuliert wurde, eine "Multifunktions-Steuer", die erhoben wird. Wer einen Laden in Palermo aufmachen will, ist gut beraten, sich vorauseilend zu melden und zu fragen, wo er seine Zahlungen abzuliefern hat. Wenn man nicht zahlt, dann wird die Bude abgefackelt.


Aber das ist beim Staat ja auch nicht viel anders. Wenn man die Steuern nicht zahlt, dann wird die Bude beschlagnahmt, was weniger romantisch ist, aber denselben Effekt hat.


Oder ist die Mafia ein Art erweiterter Familie? Die von ihr selbst verwendeten Bezeichnungen für die internen Rollen, deuten darauf hin (der "Pate" etc.)? Dafür spricht, dass in ihr eine starke Personenorientierung der Kommunikation stattfindet und sich auch noch viele andere Aspekte, die im System Familie zu beobachten sind, wieder finden. So ist die Kommunikation überwiegend mündlich (es gibt z.B. keine Aktenvermerke über Mordaufträge) usw.


Eigentlich, so scheint es, ist die Mafia ein Unternehmen, das seiner Zeit weit voraus ist, ein Modell für die Zukunft auch bei uns. Was in anderen Bereichen erst begonnen wird, ist in Sizilien schon Praxis. Staatliche Aufgaben werden outgesourced und privatisiert. Eigentlich ist es ja die klassische Aufgabe des Staates, dafür zu sorgen, dass die Bürger in ihren alltäglichen Geschäften darauf vertrauen können, dass sie nicht betrogen werden. Wer sich übervorteilt fühlt, kann vor Gericht ziehen und sein staatlich garantiertes Recht einklagen. In Sizilien zahlt man Schutzgeld und kann darauf vertrauen, dass einen der Geschäftspartner nicht betrügt, weil er weiß, dass man den Schutz einer der großen "Familien" genießt. Die zu erwartenden Sanktionen sind in ihrer prozessualen Form weniger festgelegt, aber doch hinreichend klar berechenbar.


Das Produkt der Mafia ist Vertrauen (diese Idee stammt nicht von mir, sondern die habe ich irgendwo gelesen). Deshalb konkurriert sie mit dem Staat - auch in Bezug auf dessen Gewaltmonopol. Wo die Mafia funktioniert, verliert der Staat seine Funktion, wo der Staat nicht funktioniert, entsteht eine Mafia.


Ihr Modell der Organisation ist die Aufblähung des Familienmodells. Auch der Staat hat Ähnlichkeiten mit der Familie. Man wird in den Staat wie in die Familie (meist) hinein geboren und muss keine Aufnahmenprüfung machen. Bei der Mafia wird man "ko-optiert" - von denen, die einem die Möglichkeit geben, sich durch einen kleine Gebühr des Schutzes des "Paten" zu erfreuen.


Durch die Größe, die Zutrittsregeln und die Funktionsorientierung wird die Mafia aber auch zur Organisation, zu einer, die mit staatlichen Einrichtungen im Wettstreit liegt. Und es gibt natürlich noch ein paar Besonderheiten: die höheren Beamten oder Manager werden, wenn sie ausgedient haben, nicht in Pension geschickt, sondern liqudiert. Das spart natürlich Kosten und die Miesmacherei, unter der sonst die Nachfolger zu leiden haben.