System der Abweichungen

Da ich hier ja schon mehrfach für einen Neustart der Psychiatrie plädiert habe (angesichts der Tatsache, dass junge Psychiater gar nicht mehr die Chance haben, Patienten zu sehen, die nicht medikamentös vorbehandelt sind - und die Wirkungen der Medikamente nicht klar zu trennen sind von den Symptomen), habe ich meine eigene Anregung ernst genommen, und begonnen, wieder einmal Eugen Bleulers "Dementia praecox oder die Gruppe der Schizophrenien" (1908) zu lesen.


In diesem Buch wird der Begriff Schizophrenie zum ersten Mal (soviel ich weiss) verwendet. Was mir an dem Buch gefällt, und was jedermann ans Herz gelegt werden kann, ist die sorgfältige Beschreibung und Analyse des Verhaltens der Patienten.


Psychopathologie mag eine unglückliche Bezeichnung für dies sein, denn die Psyche eines Patienten ist ja nicht direkt beobachtbar. Aber aus der Art des Argumentierens, der Assoziationsketten usw. lassen sich Hypothesen über Denken und Fühlen des Patienten ableiten. Und was Bleuler da beschreibt, ist von höherer Qualität (was die Sorgfalt und Differenzierung der Beobachtung angeht), als dies heute üblich ist.


Vor diesem Hintergrund will ich hier auch noch einmal auf das Buch von Roland Schleiffer hinweisen. In "Das System der Abweichungen" liefert er eine Begründung und Interpretation der Psychopathologie auf Basis der Luhmannschen Systemtheorie. Ein wichtiges und verdienstvolles Buch. Und das sage ich nicht nur, weil ich den Autor dazu ermutigt habe, es zu schreiben. Ich bin ihm auf jeden Fall sehr dankbar dafür, dass er die Aufgabe übernommen hat, dieses für die gesamte Szene (die systemische wie die psychiatrische) wichtige Buch zu schreiben.