Symmetrie-Intoleranz

Es passt jetzt natürlich nicht zu dem Nazi-Thema, das Frau Taraba ins Netz gestellt hat, aber mich hat es in den letzten Tagen weiter beschäftigt: mein Versuch, neue Diagnosen zu erfinden.


Ich habe einen neue, die manchnal differentialdiagnostisch schwer von der Konsens-Intoleranz zu unterscheiden ist: die Symmetrie-Intoleranz.


Auf den ersten Blick gibt es gewisse Ähnlichkeiten zwischen beiden Symptombildern, aber es gibt doch deutliche Unterschiede, die nicht übersehen werden sollten.


Hintergrund für meine Kreativität in Sachen Diagnosen ist die Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kollegen. Ich habe in den letzten 30 Jahren mit vielen, prominenten und auch weniger prominenten, Menschen Workshops zusammen gegeben. Dabei konnte ich manchmal die beglückende Erfahrung machen, dass ich mit der einen oder dem anderen ohne alle Absprchen und (in Einzelfällen) ohne dass wir uns auch nur vorher gekannt hätten, aus dem Stand heraus exzellent zusammen arbeiten konnte. Zwischen uns entwickelte sich eine Art Ping-Pong-Spiel, eine leichte, mühelose und lustvolle Symmetrie, an der wir beide unsere Freude hatten und die Teilnehmer weit mehr an Gewinn, als wenn sie jeden einzelnen von uns allein als Workshopleiter gehabt hätten. Das gelang manchmal auch in Therapien und Beratungen.


Auf der anderen Seite habe ich die Erfahrung gemacht, dass ich Kollegen schon seit Ur-Zeiten kenne, weiß wie sie ticken und denken, und trotzdem klappt die Zusammenarbeit mit ihnen nicht richtig oder ist sehr mühsam und quälend. Irgendwie erinnert mich diese Form der Interaktion an die mit der vor einigen Tagen beschriebenen konsens-intoleranten Bekannten. Selbstverständlich schreibe ich als guter Diagnostiker dieses Phänomen meinem jeweiligen Kooperationspartner zu (nicht mir, auf keinen Fall: Ich bin unschuldig - so viel steht fest).


Die Diagnose, die ich gefunden habe, lautet: Sie "leiden" unter Symmetrie-Intoleranz. Denn irgendwie klappt die Zusammenarbeit nur, wenn man ihnen die Position des Überlegenen, Wissenden usw. überläßt (die wahrscheinlich ja auch berechtigt ist). Der Unterschied zur Konsens-Intoleranz ist, dass die betreffenden Personen Zustimmung durchaus ertragen. Sie sind sogar extrem hilfsbereit, wenn man sie in ihrer Expertenrolle anspricht. Und, ganz wichtig: Sie sind auch in der Lage, anderen die Rolle des Experten zuzubilligen und in die Rolle des Lernenden zu gehen...


Das einzige, was sie wirklich nicht vertragen, ist Symmetrie, das lustvolle Spiel zweier, die sich ihrer Gleichwertigkeit bewußt sind und die aus dieser Sicherheit und diesem wechselseitigen Vertrauen in die Kompetenzen des anderen resultierenden Möglichkeiten nutzen... Ein Jammer, denn das Symmetriespiel hat ja was Erotisches.