Soziale Kognition/Sozialwissenschaften

Im Anschluss an meinen vorigen Blogbeitrag ein paar Überlegungen zu Perspektivität der Beobachtung bzw. der Position des Beobachters.


Wenn man den empirisch forschenden Entwicklungspsychologen im Gefolge Piagets glauben kann, dann folgt die individuelle Entwicklung der Beobachtung sozialer Ereignisse als Durchlaufen von Stufen (was natürlich in ihrer digital erscheinenden Distinktheit ein Phänomen der Beobachtung 2. Ordnung sein dürfte - aber trotzdem scheint mir diese Konzeptualisierung nützlich). In erster Linie sind für mich als systemischen Praktiker hier die Arbeiten von Robert L. Selman ("Die Entwicklung des sozialen Verstehens", Suhrkamp 1984) von Bedeutung.


Abgekürzt und vereinfacht gesagt verläuft diese Entwicklung in drei "Reifungs"-Stufen (die offensichtlich - wenn man seine Mitbürger so anschaut - nicht durchlaufen werden müssen):


1. Die erste Stufe besteht in einer egozentrischen Perspektive, d.h. das betreffende Individuum sieht sich im Mittelpunkt der Welt und bezieht dementsprechend alles, was geschieht auf sich. Egomanen, die nur sich wichtig nehmen, gehören in diese Kategorie.


2. Auf der zweiten Reifestufe ist der Einzelne in der Lage, sich in die Schuhe seines Gegenübers zu versetzen und nachzuempfinden (bzw. aufgrund seiner Empathiefähigkeit zu hypthetisieren), wie es dem Anderen geht. Er kann sich selbst dann auch im Idealfall durch die Augen seines Interaktionspartners beobachten (natürlich nicht tatsächlich, sondern hypothetisch). Von dieser Kompetenz leben die meisten Psychotherapeuten.


3 . Die letzte Stufe dieser Entwicklungsreihe besteht darin, aus eine hypothetischen Außenperspektive auf die Interaktion, an der man selbst beteiligt ist, zu schauen. Mann kann sich dann z.B. auch taktisch oder strategisch verhalten, wenn man die Muster der Interaktion/Kommunikation durchschaut. Diese Kompetenz erwirbt man etwa im Alter der sogenannten "Reifeprüfung", ein Begriff, der in diesem Zusammenhang vielleicht gar nicht so schlecht ist, als mit ca. 17 - 18 Jahren. Dies ist die - wie ich hoffe - Kompetenz systemischer Berater und Therapeuten.


Die Einführung dieser dritten Perspektive ist es, was das Geheimnis triadischer Fragen in systemischen Beratungs- und Therapiekontexten ausmacht. Man fördert eine Form der sozialen Beobachtung, die bei den Beteiligten möglicherweise der Förderung bedarf bzw. so in Erinnerung gerufen werden kann ...


Was hier als Stufenfolge der persönlichen Beobachtung skizziert ist, kann m.E. analog im Bereich der Wissenschaften beobachtet werden (siehe den vorigen Blogbeitrag). Die Sozialwissenschaften schauen aus einer hypothetischen Außenperspektive auf gesellschaftliche Prozesse. Wenn ihre Modelle hinreichend "passend" sind, dann lassen sie sich für politisches und staatsbürgerliches Handeln nutzen. Das ist zumindest die Hoffnung... d.h. meine Hoffnung.