Schützenfest-Kirmes in Göttingen

Bestimmt seit 14 Jahren war ich auf keiner Kirmes mehr. Jetzt wollte ich es noch mal wissen.


Schützenfest mit Kirmes ist in Göttingen eine große Tradition. Beim festlichen Umzug dürfen wenigstens für einen Tag im Jahr einmal die Schützen aus allen umgebenden noch kleineren Städtchen und Dörfchen rund um Gö das Stadtbild prägen – und auf einmal passt wieder alles zusammen: Die Schützenuniformen und Blaskapellen auf dem Kopfsteinpflaster vor den Fachwerkhäusern machen genau die Atmosphäre, für die ich – naja – genau nicht nach Göttingen gegangen bin.


Sonst dominiert die Universität mit ihren Studenten, Promotions-Umzügen, etlichen Uni-Angestellten und ökologisch bewussten Spätgebärenden die Atmosphäre. Was eine angenehme Mischung gibt: Intellektualität plus Edel-Öko plus Fachwerkgemütlichkeit ergibt hier eine sehr gute Lebensqualität mit ein wenig Urlaubsatmosphäre. Zumindest, wenn man wie ich aus einer Ruhrgebietsgroßstadt kommt und mittelalterliche Bilderbuchstädchen nur aus dem Herbsturlaub in süddeutschen Weingegenden kennt.


Vor dem Hintergrund war dann die dazugehörige Kirmes eigentlich eine Enttäuschung. Genau der gleiche standardmäßige trash wie auf jeder x-beliebigen Schotterplatz-Kirmes.


Die jungen Männer zum mitreisen an den Fahrgeschäften guckten wie Russenmafia und die jungen Frauen an den Buden wie verlassene Zicken. Mein Mann und ich hätten uns vielleicht keinen frühen Abend kurz vor Gewitter unter der Woche aussuchen sollen. Es war nix los, die meisten Fahrgeschäfte standen mangels Kunden still, ließen aber trotzdem ihre typischen Hits-der-Neunziger Musik dröhnen.


Das fand ich aber eine bessere Geisterbahn, als das Original, vor allem in Kombination mit den vereinzelt umherlungernden Trupps dicklicher oder magersüchtiger Dorfjugendlicher in bauchfreier und schuhumspülender Synthetik.


Wie tranken gleich zu Beginn ein Bier, um in Stimmung zu kommen. Auf manche Dinge kann man sich verlassen: es schmeckte richtig abgestanden und war lauwarm. Dann drehten wir eine Runde. An einer Pommesbude „Dänische Pommes aus frischen Kartoffeln“ blieb mein Mann stehen und bestellte eine Portion mit Ketchup.


Während wir die Pommes aßen, kam ein junges Paar mit Kinderwagen. Sie, völlig überschminkt, der Mann hielt drei Meter Abstand, fragte die ebenfalls junge Verkäuferin (besonders missmutig schauender Typ siehe oben), was denn „frisch – frische Kartoffeln“ hieße.

Ich versuchte wegzuhören, es gelang mir nur kurz und ich bekam die Antwort der Verkäuferin nicht mit.

Dann fragte die Mutter, was es denn sonst noch gebe.


Ich muss dazu sagen, dass es ein kleiner, sehr übersichtlicher Stand war, an dem genau zwei sehr große Schilder hangen: „Dänische Pommes aus frischen Kartoffeln“ und ein zweites, sehr übersichtlich und in großen Buchstaben, welches eine kurze Liste aus Pommes in verschiedenen Größen und ein paar Saucen auflistete.


Die Mutter fragte also weiter: „Und gibt´s noch was anderes als Pommes?“

Der Verkäuferin gelang es, auch noch zusätzlich angesäuert zu gucken: „Nur Pommes.“

Mutter: „Nur Pommes?“

Die Verkäuferin schwieg, jetzt stocksauer.

Die Mutter gab nicht auf: „Und was gibt's für Saucen dazu?“

Jetzt kam Entsetzen im Gesicht der Verkäuferin auf. Sie schaffte es, mit dem Kopf auf das Schild mit der Angebotsliste zu deuten, schwieg aber weiter.

Die Mutter fragte einiges lauter, genervter und eine Spur hysterisch weiter: „Hallo! Gibt's hier nur Pommes? Und gibt's was dazu?“

Sie wandte den Kopf in meine Richtung und fragte nun mich: „Spricht die kein deutsch oder was?“

Ich brachte hervor: „Ich glaube hier gibt's einfach nur Pommes mit den Saucen, so wie es da oben auf dem Schild steht.“ „Ah“ - kam als Antwort und sie drehte sich wieder weg.

Ich warf noch einen Blick auf die Verkäuferin und sah, wie sie an die Rückwand der Bude zurückwich, mit Todesverachtung im Gesicht.


Wir flohen mit unserer halb gegessenen Pommes. Ich sagte: „Wie kann man nur so blöd und stur sein?“ - „Wer, die Verkäuferin?“ fragte mein Mann zurück“ - „Äh nein, ich meine die Mutter!“


Uns half das einzige nette Gesicht der Kirmes aus unserer Verstörung. An einer Luftballons-mit-Dartpfeilen-Wurfbude strahlte eine Frau so wonnig und freundlich, dass mein Liebster, magisch angezogen, sofort für 5 Euro Dartpfeile bestellte. Wunderbar, wie er intuitiv die passende Intervention findet. Jetzt konnten wir uns nach dem chill ein wenig auslassen.


Also, Kirmes Göttingen, mein Fazit:

Alles in allem hatte ich echten Grusel, Spannung und Wettbewerb erlebt, war pappsatt, wurde vom tollsten Jungen im Arm gehalten und hatte beim Werfen eine Trefferquote von 70%! Was kann man von einem Kirmesbesuch mehr erwarten?


Trotzdem reicht es mindestens für die nächsten 14 Jahre...