Schülermobbing - tun wir was dagegen!

„Mobbing - Schluss damit!“, lautet die Devise bei den vernetzten Kinderseiten. Mit einer Empfehlung der Familienministerin von der Leyen startete vor wenigen Tagen die Aktion der Internetseite www.seitenstark.de. Eine Gruppe von Studentinnen und Studenten der Universität Leipzig betreut ehrenamtlich den Kinderchat über Mobbing. Motiv für das vor wenigen Tagen gestartete neue Engagement gegen das Schülermobbing sind die alarmierenden Ergebnisse einer neuen Studie, die unter Leitung der Münchener Professorin Mechthild Schäfer erstellt worden ist: 500000 Feindseligkeiten erleben Kinder und Jugendliche an deutschen Schulen jede Woche. Aber wie ist es mit der guten Sache: Es muss etwas geschehen, aber das darf nichts kosten. Denn wie vieles, das mit Idealismus und Überzeugung in Angriff genommen wird, ist auch dieses Projekt finanziell schwach auf der Brust: „Gesucht werden Förderer, Partner und Freunde, die sich gemeinsam mit uns für den Erhalt und Ausbau der Kinderseiten stark machen!“, heißt es in den Hintergrundinformationen.


Vor Jahren gab es in Baden-Württemberg schon einmal eine zeitlich befristete Aktion unter dem Stichwort „Kidsmobbing“, ein von Psychologen betreutes Mobbingtelefon, das gut frequentiert war. Ein Zeichen dafür, dass die Not an dieser Stelle groß ist. Es musste nach einigen Monaten wieder eingestellt werden. Öffentliche Erklärungen wie die der Familienministerin sind eben wohlfeil und kostengünstig. Doch sie bewirken nichts. Dennoch ist den engagierten Leuten von „Seitenstark“ viel Erfolg zu wünschen. Auch der stete Tropfen hat seine Wirkung auf das System, wenn auch nur im Schneckentempo.


Das Problem quer durch die Bundesrepublik: Schülermobbing ist ein Randthema. Für manche Kinder, die es trifft, ist es leider der persönliche tägliche Supergau. Ab und zu erreicht mich – auf welchem Weg auch immer – ein einzelner Hilferuf per E-Mail, fast immer von Mädchen im Alter zwischen zwölf und fünfzehn. Das ist ja auch das Alter, in dem in den Schulklassen die gegenseitige Niedermache am heftigsten tobt. Noch immer kümmern sich ganz offensichtlich nur sehr wenige Lehrerinnen und Lehrer ernsthaft um dieses Problem, wie ich dabei immer wieder erfahre. Dabei ist für viele Betroffene der tägliche Gang zur Schule eine Qual und der Schulerfolg steht bei diesen Kindern in Frage. Weil ihre ganze Energie dem täglichen Überleben im unsichtbaren Dschungel der Gemeinheiten gilt, denen sie ausgesetzt sind, fehlt sie für das wesentliche, das Lernen.


Eine ganz andere Situation gibt es wohl in Australien. Dort wurde soeben im Staat Victoria nach einem heftigen (Einzel-!)Fall Mobbing Ende 2006, das im Internet dokumentiert worden war – Cyber-Mobbing heißt das inzwischen weltweit -, das Internetportal YouTube auf den Schulcomputern gesperrt, um weiteren Missbrauch auszuschließen. „Der Staat hat Mobbing an Schulen nie toleriert, und diese Null-Toleranz-Haltung gilt auch für das Internet.“ Das sagte die dortige Erziehungsministerin Jacinta Allan. Hat man hierzulande schon mal gehört, dass sich ein Kultusminister derartig engagiert zum Schutz der Kinder vor Mobbing eingesetzt, also wirklich was dagegen getan hätte? Flotte Sprüche – und seien sie mit erdrückenden Zahlen wie den wöchentlichen fünfhunderttausend garniert – erzeugen nur entsetztes Staunen, eine Art Angststarre. Helfen kann aber nur konkretes Handeln.


Vielleicht muss erst einmal wieder ein UNO-Beauftragter die Bundesrepublik an den Pranger stellen wie gerade Venor Munoz im Blick auf die vertanen Bildungschancen mit seinem aktuellen Bericht, muss ihr Untätigkeit im Umgang mit Mobbing und Tatenlosigkeit beim Schutz der Menschenrechte für Kinder bescheinigen. Vielleicht kommen sie dann wieder wie soeben ganz von oben herab, die diversen Mitglieder der Kultusministerkonferenz, und meinen wiederum, der Herr (aus dem fernen Mittelamerika) habe da wohl etwas nicht so ganz verstanden. Das beliebteste Argument zur Begründung der Untätigkeit gegen das grassierende Schülermobbing ist noch immer die Behauptung, es handle sich um Einzelfälle. Und natürlich ist jeder Fall ein Einzelfall, aber auch jeder dieser Einzelfälle ist einer zu viel. Und 16 Prozent, wie ich bei meinen eigenen Studien 1998/99 herausgefunden habe, 5 unter 30 Schülern einer Klasse sind sowieso mehr als diese Einzelfälle. Wenigstens leugnet man es nicht mehr, das Schülermobbing wie noch um die Jahrhundertwende, also vor wenigen Jahren.


Zum Glück gibt es da und dort, wirkliche Einzelfälle, engagierte Menschen, die an ihrem Platz und mit ihren Handlungsmöglichkeiten vor Ort die Initiative ergreifen, Lichtblicke und Zeichen der Hoffnung, die Internetseite www.schuelermobbing.de zum Beispiel, Privatinitiative eines schwäbischen Kollegen (oder Kollegiums?). Oder Irene Heinzelmann, die Beratungslehrerin in Freiburg. Sie hat ein Handlungskonzept entwickelt, das sich sehr bewährt. Sie drehte gewissermaßen den Spieß um und gewann die Kinder für eine Eigeninitiative gegen das rüde zwischenmenschliche Klima in der Klasse. Dazu setzte sie den Smob-Fragebogen (Smob= Schülermobbing. Bezug über www.aol-verlag.de. Titel: „Schülermobbing – tun wir was dagegen!“ 4. Auflage 2006) im Abstand von mehreren Monaten mehrfach ein, ermittelte die Werte für den allgemeinen Aggressionslevel (Klassenindikator), was die Befragung gewissermaßen nebenbei ergibt. Das wurde Grundlage einer Zielvereinbarung: Wir wollen, dass der Klassenindikator bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf 2,0 sinkt. Und es wird erreichbar, weil sich die Kids in der Klasse nun plötzlich gegenseitig zu einem friedlichen und konstruktiven Umgang miteinander anstiften. Frau Heinzelmann hat ihren Weg dokumentiert. Sie können selbst nachschauen (www.lehrerfortbildung-heinzelmann.de) und können es genauso machen. Bestimmt mit Erfolg.


Fazit: In einer Zeit der flüchtigen Projekte und großen Sprüche rund ums Mobbing in den Schulklassen, ist eine nüchterne Erkenntnis angezeigt, die sich mit Erich Kästner ganz unsystemisch und dennoch erfolgreich auf den Punkt bringen lässt: “Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!” Und das mit Hingabe und Beständigkeit: Hinschauen, Prüfen, Handeln über Regelvereinbarungen und konsequente Ablehnung eines menschenverachtenden Verhaltens, wie es die Erziehungsministerin aus dem fernen australischen Victoria formulierte: Null-Toleranz für Mobbing in den Schulklassen. Oder mit den Leipziger Studentinnen und Studenten der Aktion Seitenstark.de: "Mobbing - Schluss damit!"


Lassen Sie sich anstecken, liebe Leserinnen und Leser, Kolleginnen und Kollegen vornehmlich, aber auch Eltern schulpflichtiger Kinder, die in ihrer Umgebung gewiss das Mobbing beobachten können, wenn sie nicht gar selbst dazu gehören. Schließlich ist bisher nur eine von zehn Schulklassen mobbingfrei und das könnte sich mit ein wenig Engagement über längere Zeit auch in Ihrem Fall erreichen lassen. Tun wir was, es lohnt sich!


Ich grüße Sie und wünsche Ihnen guten Erfolg,

Horst Kasper