Sarrazin verdient einen Orden

Haben wir hierzulande ein Problem mit der Integration von Migranten? Wir haben es! Hat noch niemand vor Thilo Sarrazin herzhaft darauf aufmerksam gemacht? Aber doch, selbstverständlich! Und wie! Schließlich wurde noch vor zehn Jahren offiziell von führenden Politikern bestimmter Provenienz behauptet: Deutschland ist kein Einwanderungsland. Und gegen diese deutsche Lebenslüge lief schon damals Sturm, wer anderer Meinung war. Es war jedoch wie immer im Hühnerstall: Klopfte jemand aufs Dach, indem er das Problem thematisierte, entschiedene Anstrengungen zur Förderung der Integration forderte, so gackerte es drinnen wild durcheinander. Nach kurzer Zeit kehrte wieder Ruhe ein. In der Regel, weil inzwischen ein anderer Aufreger die Gemüter erhitzte.


Nun kommt einer, der normalerweise überaus zurückhaltend auf dem Stuhl eines Bundesbankvorstandes säße, der stattdessen nun ohne Schonung der eigenen Person und der eigenen gesellschaftlichen Position mit völlig abstrusen Behauptungen über die besondere genetische Disposition „bestimmter Volksgruppen“ die heiligsten aller denkbaren Tabus zerdeppert: Juden und Basken haben ein besonderes Gen und Muslime sind dümmer. Schlimmer, der selbst ernannte Hobbygenetiker Sarrazin verteidigt solche „Fakten“ noch mit angeblichen wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, behauptet gar: „Deutschland schafft sich ab!“ Er zitiert im Fernsehen hochrangige Expertinnen und Experten, beruft sich etwa auf die Psychologin Elsbeth Stern, die ihm prompt bestätigt, er hätte da hinsichtlich Begabung und Vererbung etwas falsch verstanden. Selbst das ficht ihn nicht an.


Aber er bekommt auch Unterstützung: Arnulf Baring und Henrik M. Broder zum Beispiel attestieren ihm, wenn auch nicht auf ganzer Linie mit den richtigen Argumenten, aber mit dem Thema Integration ein brennendes Problem aufgegriffen zu haben, das zu lösen bisher auch nach Jahrzehnten der Diskussion noch immer keine ernsthaften Anstrengungen erkennbar sind. Sie ermutigen ihn geradezu, am Thema zu bleiben. Ungewöhnlich zahlreiche Bürgern bombardieren die Fernsehsender mit weit überwiegend den Angegriffenen unterstützenden Mails.


Am Ende einer Woche der Diskussion mit und über Sarrazin auf allen Kanälen, ja in sämtlichen Medien kann man feststellen: Sarrazin ist gelungen, was noch niemandem gelang. Das Thema Migration in Deutschland ist in aller Munde und es zeichnet sich ab, dass das diesmal nicht folgenlos bleibt. Systemisch gesehen hat hier eine gewaltige Perturbation stattgefunden. Endlich, möchte man sagen. Es wurde auch Zeit.


Sarrazin ist ein mutiger Mann. Wie die wahren Helden aller Zeiten wirft er alles in die Waagschale, was er zur Verfügung hat, missachtet (vielleicht nur scheinbar) um seines Anliegens willen alle Vorsichtsregeln, pfeift auf politische Korrektheit und alle Stoppschilder, stürzt sich ins Getümmel. Unsere Obersten sollten nicht den mittelalterlichen orientalischen Gewohnheiten folgen, als noch die Überbringer schlechter Nachrichten geköpft wurden. Sie sollten sich endlich mit ernsthaften Bemühungen des Problems annehmen und Sarrazin, dem Unbequemen, Gerechtigkeit widerfahren lassen: Der Mann hat einen Orden verdient! Im Ernst! Denn wenn seine Attacken dazu führen, dass die Politik nun endlich das Thema mit der nötigen Entschlossenheit aufgreift, die nötigen Mittel in die Hand nimmt und Lösungen vorantreibt, dann hat er sich um die Republik verdient gemacht.