Ruckrede

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich die gegenwärtige republikanische Regierung der USA für eine korrupte und moralisch verkommene Bande von Profiteuren halte, die ohne alle Skrupel über Leichen gehen. Und ich mache auch keinen Hehl daraus, dass mein Zweifel gegenüber der republikanischen Partei und ihrer Ideologie seit Jahren generell sehr gross ist. Ronald Reagan, der inzwischen ja als Gewinner der kalten Krieges angesehen und idealisiert wird, hat m. E. die Weichen zum moralischen Niedergang Amerikas gestellt.


Merkwürdigerweise lässt es mich nicht kalt, was politisch in den USA passiert, obwohl es mich eigentlich ja nichts angeht. Aber deshalb verfolge ich jedenfalls solche Ereignisse wie amerikanische Wahlkämpfe. Und deshalb bin ich auch so entsetzt, wenn die Demokraten eher defensiv und wenig kämpferisch, mit Wattebäuschchen werfen, statt offensiv ihre Ziele und Werte kämpferisch zu vertreten.


Dass mich die letzten Wochen des Wahlkampfs und die ersten drei Tage des Demokratischen Parteitags eher deprimiert haben, habe ich hier schon signalisiert. Auch Hillary Clinton, die eine gute Rede gehalten hat, konnte mich nicht trösten.


Aber gestern: Bill Clinton...


Es ist schon interessant - psychologisch, sozialpsychologisch -, wie eine einzelne Rede die Emotionen von Menschen (in diesem Fall meine) verändern kann. Clinton hat eine Rede gehalten, in der er sich ohne alle Abstriche hinter Obama gestellt hat. Er adressierte alle Kritikpunkte, die Obama gegenüber erhoben werden (zu jung, zu unerfahren, nicht ready to lead ...) und hat sein eigenes Beispiel vor 16 Jahren dagegen gesetzt, wo ihm gegenüber die selben Einwände erhoben wurden. Und wie war seine Präsidentschaft? Aus einem riesigen Defizit wurde ein Überschuss, die Zahl der Arbeitslosen reduziert, ein sicheres Netz von Verbündeten und Freunden, diplomatische Lösungen in internationalen Konflikt usw. Aber die Bush-McCain Politik hat zu einem Desaster geführt: Krieg, Folter, Defizit, Einschränkung der Bürgerrechte, Abbau der Krankenversicherung, steigende Ölpreise usw.


Endlich mal ein "Liberaler", der in die Offensive geht, kämpferisch, selbstbewusst.


Und, das ist - wenn man das Package der beiden Reden von Hillary und Bill betrachtet - der handwerklich interessante Aspekt: Den Clintons ist es gelungen, sich zum Königsmacher zu machen. Eine elegante Beendigung der Rivalität aus den Primaries als Paradoxieauflösung. Der Konflikt wurde transzendiert, indem beide in eine letztlich hierarchisch übergeordnete Rolle gingen und dadurch, dass sie sich Obama unterordneten, ihm die für sein Amt nötige Autorität zugesprochen und übergeben haben.


Zumindest ist das die Wirkung, die der gestrige Abend auf mich hatte. Wenn er die auch auf die Demokratische Partei gehabe haben sollte und Clintons Kampfgeist übernommen wird, dann besteht ja vielleicht doch Hoffnung.